Mittelbayerische Zeitung

Mittelbayerische Zeitung: Flüchtlinge rufen Hilfe
Die Not in den Notunterkünften ist groß. Doch die bayerische Staatsregierung stellt sich taub. Leitartikel von Katia Meyer-Tien

27.11.2014 – 20:54

Regensburg (ots)

Ein Rechtsstaat darf sich nicht erpressen lassen. Mit einem Hungerstreik ein Bleiberecht in der Bundesrepublik zu erzwingen, das ist unmöglich und muss unmöglich bleiben. Die Asylbewerber, die von Samstagmittag bis Mittwochabend auf dem Sendlinger-Tor-Platz ohne Essen, ab Mittwoch auch ohne Trinken ausharrten, standen deshalb von Anfang an auf verlorenem Posten. 16 800 Asylbewerber sind von Januar bis Ende September in Bayern angekommen, das Sozialministerium erwartet, dass bis Jahresende noch einmal so viele registriert werden. Rechnet man diejenigen dazu, die bereits vor Jahresbeginn ankamen, leben zurzeit mehr als 50 000 Menschen Menschen in Bayern, die darauf hoffen, bleiben zu dürfen. 50 000 Aslybewerber, das sind 50 000 Einzelschicksale, die individuell geprüft werden müssen. Egal wie man dazu steht: ein pauschales Bleiberecht wäre ebenso unfair wie eine pauschale Abschiebung. Und dennoch muss die nun beendete Protestaktion der Asylbewerber aufhorchen lassen. Denn man darf nicht vergessen: Die meisten dieser Menschen sind nicht aus Sozialneid zu uns gekommen. Sie kommen aus Syrien, aus Nigeria und Eritrea. Nicht, weil sie ein Stück vom Kuchen des westlichen Wohlstandes abhaben wollen. Sie sind hier, weil die Verzweiflung sie getrieben hat. Sie sind geflohen vor Krieg und Terror, vor IS und Boko Haram, aus Angst um ihr Leben, um das ihrer Söhne und Töchter. Die meisten von ihnen sind froh, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und ohne Todesangst schlafen können. Sie haben Tausende Kilometer zurückgelegt, um hier sein zu können. Wie schlimm müssen die Zustände in unseren Flüchtlingsunterkünften sein, dass selbst Menschen, die die schlimmsten Entbehrungen ertragen haben, das Leben dort als unmenschlich empfinden? Dass sie keine andere Möglichkeit sehen, auf sich aufmerksam zu machen, als in Eiseskälte ohne Essen in klammen Schlafsäcken auszuharren? So ist die zweite Forderung der Demonstranten, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften abzuschaffen, durchaus ernst zu nehmen. Bilder aus der heillos überfüllten Bayernkaserne, in der Flüchtlinge ohne Decken im Freien schliefen, Hilferufe aus überforderten Kommunen, die über Nacht Notunterkünfte für Hunderte Menschen organisieren müssen, Asylsuchende, die monatelang auf die Entscheidung über ihren Antrag warten und ohne Beschäftigung in ländlicher Einöde dahinvegetieren: Die Flüchtlingspolitik der Staatsregierung präsentierte sich wenig menschenfreundlich. Dass Innenminister und Staatskanzleichef den Demonstrierenden jetzt mit Unverständnis begegnen, passt da ins Bild. Und konterkariert den Willen, die jetzige Entspannung der Situation in den Erstaufnahmelagern als Erfolg der Bemühungen der Regierung um eine Verbesserung der Situation der Flüchtlinge darzustellen. Die Verteilung der Asylbewerber solle "die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern", das stand noch bis vor kurzem in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung. Dabei ist es viel mehr als ein Gebot der Nächstenliebe, Flüchtlinge mit Respekt zu behandeln. Denn auch, wenn wir nicht alle aufnehmen können - zwei Drittel der Asylanträge in Bayern werden abgelehnt - so können wir den Menschen doch in der Zeit, die sie bei uns verbringen, zeigen, dass ihr Glaube an an ein besseres Leben in einem freien und demokratischen Land berechtigt ist, statt sie abseits der Gesellschaft notdürftigst zu versorgen, abzuschieben und so alle Hasspredigten der Terroristen zu bestätigen. Der Halbsatz, dass die Verteilung der Asylbewerber deren Bereitschaft zur Rückkehr fördern soll, wurde im Sommer 2013 aus der Asyldurchführungsverordnung gestrichen. Es war die Reaktion der Regierung auf den damaligen Hungerstreik der Flüchtlinge auf dem Münchner Rindermarkt. Denn auch wenn sich ein Rechtsstaat nicht erpressen lassen darf: mit sich reden lassen, das muss er.

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