Schwäbische Zeitung

Schwäbische Zeitung: Die Freiheit des Bundespräsidenten - Leitartikel

10.06.2014 – 22:16

Ravensburg (ots)

Bisweilen ist es für Nicht-Juristen schwer zu begreifen, zu akzeptieren, was sich in den Gehirnwindungen der Fachleute abspielt, bevor sie zu einem Urteil finden. Es gibt aber auch erfreulich klare, einfache Entscheidungen. Zu denen zählt, was die Bundesverfassungsrichter jetzt zum politischen Spielraum, zur Freiheit des Wortes eines Bundespräsidenten zu sagen hatten. Das Urteil ist wichtig im konkret verhandelten Fall, es hat aber auch generelle Bedeutung für die Rolle des deutschen Staatsoberhaupts.

Zum konkreten Fall: Joachim Gauck hat NPD-Anhänger vor Schülern "Spinner" genannt. Es war, das steht jetzt höchstrichterlich fest, sein gutes Recht. Mit der Verpflichtung zu parteipolitischer Neutralität konnte nie gemeint sein, dass ein Bundespräsident krasse Fehlentwicklungen in der Gesellschaft nicht beim Namen nennen darf. Es konnte auch nicht gemeint sein, dass die Umtriebe einer verfassungsfeindlichen Partei, deren Verbot seit Jahren diskutiert wird, nicht kommentiert werden dürfen. Anzumerken wäre allenfalls, dass Gauck hier noch die mildeste Form einer Qualifizierung für den menschenfeindlichen Mob gewählt hat.

Unpolitische Präsidenten waren auch die Vorgänger Joachim Gaucks nicht. Aber noch mehr als ihnen ist dem Ostdeutschen die Freiheit des in Worte gefassten Gedankens ein inneres Bedürfnis - auch wenn es um aktuelle politische Entwicklungen und Probleme geht. Das hat er zuletzt nachdrücklich bei seinem Staatsbesuch in der Türkei unter Beweis gestellt. Seine Art der Amtsführung ist durchaus ein Balanceakt. Er muss über dem parteipolitischen Gezänk stehen, er darf sich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen, er muss - in diesem Sinne - neutral sein. Aber wenn es um Grundsätzliches geht, dann darf und soll er sich zu Wort melden. Die Verfassungsrichter haben dies nicht nur bestätigt, man kann das Urteil sogar als Ermunterung zur Einmischung lesen. Im medialen tagespolitischen Getöse ist es vielleicht wichtiger als früher, dass ein Bundespräsident das Format hat, Richtiges zu sagen. Gauck hat es.

Pressekontakt:

Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de

Original-Content von: Schw�bische Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Orte in dieser Meldung
Weitere Storys: Schwäbische Zeitung
Weitere Storys: Schwäbische Zeitung
  • 05.06.2014 – 20:00

    Schwäbische Zeitung: Fragwürdiger Großversuch - Leitartikel

    Ravensburg (ots) - Die Europäische Zentralbank hat sich große Verdienste um die Eindämmung der Finanzkrise erworben. Ihr Präsident Mario Draghi bewahrte den Euro 2012 vor dem Zerfall und gebot den Spekulanten Einhalt. Er zeigte Tatkraft, während viele Politiker die Nerven verloren. Seitdem ist der EZB großer Einfluss zugewachsen. Nun aber fällt es den ...

  • 05.06.2014 – 20:00

    Schwäbische Zeitung: Anerkennung für einen Nerd - Kommentar

    Ravensburg (ots) - Mit Jaron Lanier ehrt der Deutsche Buchhandel einen Kritiker des digitalen Wandels. Diese Haltung ist unter deutschen Intellektuellen weitverbreitet. Ihre Warnungen vor den Gefahren des Netzes verhallen bei vielen jüngeren Nutzern ungehört - man tut die Mahner als Generation von gestern ab. Doch Lanier ist keiner jener Kulturpessimisten, die das Internet und seine Auswüchse ablehnen, ohne Teil der ...

  • 05.06.2014 – 20:00

    Schwäbische Zeitung: Das Unwohlsein mit Europa - Kommentar

    Ravensburg (ots) - Es ist wohl kein Zufall, dass sich Guido Wolf genau jetzt über sein Amt als Landtagspräsident sein europapolitisches Profil schärft. Immerhin betont Thomas Strobl, sein Gegner um die CDU-Spitzenkandidatur zur Landtagswahl, dauernd seine politische Weltläufigkeit. Wer den Entwurf aber als kurzes Strohfeuer einer innerparteilichen Rivalität abtut, greift zu kurz. Und auch wenn die in dem Entwurf ...