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Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Umfrage-Hoch für die Piratenpartei Gesammelter Unmut THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Augenklappe, Enterhaken, Holzgewehr - die Piraten greifen an. Wie früher im Kindergarten. Es ist aber kein Kinderspiel mehr in Muttis Garten, was sich derzeit in der deutschen Parteienlandschaft abspielt. 13 Prozent der bundesdeutschen Wähler können sich vorstellen, die orangefarbene Partei zu wählen. Ein sensationeller Befund: Die Wahlforschung kennt kein anderes Beispiel einer Partei, die aus dem Stand bundesweit auf einen zweistelligen Wert springen konnte. Das Programm kann es nicht sein, das die Neuen so attraktiv macht. Die wenigen formulierten Ziele - Bürgerrechte, Selbstbestimmung, Umwelt, Teilhabe, Freiheit - sind dafür zu schwammig formuliert. Die Romantik gelebter Solidarität und Gemeinschaft ist andererseits schon so gut wie dahin. In Berlin tobt ein verbitterter Machtkampf zwischen Landesverband und Bundespartei, dessen Intrigen und Mobbingattacken schon sehr nah an etablierte Parteien heranreicht. Der Reiz des Neuen mag für die Wähler eine Rolle spielen. Piraterie meint schließlich vom griechischen Ursprung "peiran" her, etwas zu versuchen, zu unternehmen oder auszukundschaften. Das ist zunächst nicht automatisch eine Gefahr. Es kann sich darin auch eine Suche nach neuer Identität artikulieren. Die etablierten politischen Funktionsträger bilden mit ihrer Sprache immer weniger die Erfahrungswelt der Bürger und Bürgerinnen ab. Insbesondere im Diskurs mit jungen Menschen stößt man heute schnell an die Grenzen des Verständnisses: Wie soll das gehen, dass immer weniger Junge für immer mehr Alte den Lebensstandard sichern müssen? Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor den Leistungen der Rentner zu tun. Aber wer heute eine Familie gründen, eine Existenz aufbauen, ein Haus bauen und Kinder in die Welt setzen will, muss das mit geringeren Einstiegslöhnen, weniger Aufstiegschancen und höheren Abgaben als frühere Jahrgänge tun. Der Hinweis, dass wir für künftige Generationen sparen müssen, hat deshalb auch immer einen Hauch von Heuchelei. Oder: Die Politik diskutiert auf Anregung ihres neuen Bundespräsidenten über den Freiheitsbegriff. Im Blick auf das Internet aber organisieren ihre Initiativen vor allem Beschneidungen und Einschränkungen der Freiheit. Natürlich gibt es dafür gute Gründe. Für jüngere Internetnutzer aber ist dies die Gängelei einer Generation, die von dem Thema nichts versteht. Fast drei von vier Piraten-Wählern nennen als Grund für ihre Entscheidung die Enttäuschung über die anderen Parteien. Mehr als eine Million Nichtwähler wollen bei der nächsten Bundestagswahl Piraten wählen. Dass eine neue Partei, deren Mitglieder alles andere als demokratiefeindliche Revoluzzer sind, für mehr Bürgerbeteiligung sorgt, ist eine gute Nachricht für die Demokratie. Die Piraten sammeln den Unmut vieler über die tatsächliche oder vermeintliche Abgehobenheit der politischen Klasse. Ihr Erfolg ist eine Mahnung an die Politik insgesamt, die Augen wieder stärker für die Interessen der einfachen Menschen zu öffnen.

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