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Landeszeitung Lüneburg: ,,Nachwirkungen der Krise werden noch lange zu spüren sein" -- Interview mit dem Wirtschaftsweisen, RWI-Präsident Prof. Dr. Christoph M. Schmidt

Lüneburg (ots)

Erst droht dem Emirat Dubai der Bankrott, dann
wird das ganze Ausmaß der Verschuldung Griechenlands bekannt -- und 
schon gerät auch Spaniens hohes Defizit in die Schlagzeilen. Diese 
Fälle belegen, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ,,noch
nicht vorbei ist", sagt der Wirtschaftsweise Prof. Christoph M. 
Schmidt im Gespräch mit unserer Zeitung. Mitschuld am Desaster 
Griechenlands hat seiner Ansicht nach auch der Stabilitäts- und 
Wachstumspakt, der ,,notorisch schwach ist im Erzwingen von 
Disziplin". Grundsätzlich waren und sind implizite Garantien etwa 
eines Staates bedenklich. Der Anreiz übermäßige Risiken einzugehen, 
ist derzeit so groß wie vor Beginn der Krise.
In Kürze wird in Dubai der größte Wolkenkratzer der Welt 
eingeweiht. Zugleich steht Dubai vor dem Bankrott, hat 80 Milliarden 
Dollar Schulden angehäuft, 50 Milliarden werden bis 2013 fällig. 
Könnte die ganze Region in den Abwärtssog des Emirats gerissen 
werden?
Prof. Christoph M. Schmidt: Das ist eher unwahrscheinlich. Abu 
Dhabi war bislang zur Stelle, wenn es darum ging, Dubai unter die 
Arme zu greifen. Und das dürfte auch jetzt wieder der Fall sein. Die 
Krise in Dubai ist aber ein Zeichen dafür, dass die weltweite Finanz-
und Wirtschaftskrise noch nicht vorbei ist, die Nachwirkungen noch 
lange zu spüren sein werden. Im konkreten Fall bedeutet das: Das 
Emirat hat nicht so solide gewirtschaftet und in gewisser Weise mit 
seinen Aktivitäten auf Sand gebaut. In Boomzeiten wurde es nicht 
ertappt, sondern erst jetzt. Aus der Krise haben wir gelernt, dass 
implizite Garantien von übergeordneten Stellen schlechtes Verhalten 
hervorrufen. So sind viele Banken in der Boomphase exzessive Risiken 
eingegangen -- wohlwissend, dass in einer möglichen Schieflage der 
Staat einspringt. Im Fall Dubai ist es Abu Dhabi.
Wer bankrotte Staaten sucht, muss nicht in die Wüste fahren. 
Griechenland ist fast aussichtslos verschuldet. Kann sich das Land 
noch allein aus der Schuldenfalle befreien?
Prof. Schmidt: Das ist eine gute Frage. Klar ist, dass es eine 
sehr schwere Aufgabe für Griechenland wird. Man hatte sich offenbar 
jahrelang nicht an Vereinbarungen gehalten. Jahrelang war klar, dass 
Griechenland exzessive Defizite hat, die Maastricht-Kriterien 
mehrfach gerissen wurden. Dennoch gab es keine Konsequenzen, wurden 
nie Sanktionen verhängt. Dass jetzt erste, ernsthafte Schritte 
angekündigt worden sind, um das unsolide Wirtschaften zu beenden, ist
eine gute Nachricht. Ob es aber am Ende reichen wird, lässt sich 
derzeit nicht voraussagen.
Mehrere Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit Griechenlands 
drastisch zurückgestuft
Prof. Schmidt: Daran sieht man, dass Marktdisziplinierung im 
Endeffekt ein gutes Werkzeug ist, um Aufmerksamkeit bei den 
Betroffenen zu erzeugen. Jahrelang geschah nichts, erst mit der 
Herabstufung wurde reagiert.
Die Marktdisziplinierung funktioniert, aber die 
EU-Kontrollmechanismen versagen?
Prof. Schmidt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist notorisch 
schwach im Erzwingen von Disziplin. Dabei sollte der Pakt ein 
Instrument zur Disziplinierung sein. Und er wurde insbesondere von 
Deutschland sehr vorangetrieben. Es ist noch nicht lange her, da 
waren es Deutschland und Frankreich, die -- als sie selbst gegen die 
Maastricht-Kriterien verstoßen hatten -- sagten, die Kriterien seien 
ökonomisch nicht so sinnvoll, Flexibilisierung sei erforderlich. 
Damit wurde der Pakt aus ökonomischer Sicht aufgeweicht und 
geschwächt. Zudem greifen die Sanktionsverfahren überhaupt nicht. Es 
dauert viel zu lange, bis ein Verfahren in Gang kommt. Wenn ein Land 
dann unter die Drei-Prozent-Grenze kommt, wird das Verfahren direkt 
wieder ausgesetzt. Damit kann man keine Disziplin erzwingen. Wir 
haben im Ratsgutachten einen Konsolidierungspakt gefordert. So 
sollten sich die übrigen Euro-Länder nicht zurücklehnen, wenn in 
Deutschland konsolidiert wird. Denn nur Deutschland muss aufgrund der
Schuldenbremse konsolidieren, die übrigen Länder haben nichts 
Vergleichbares. Das heißt, wir müssen die Partnerländer mit ins Boot 
holen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt reicht dazu nicht aus.
Wo sehen Sie überhaupt Einsparmöglichkeiten der Regierung? 
Schließlich stehen 2011 rund 30 Milliarden Euro zur Disposition, die 
eingespart werden müssen. Finanzminister Schäuble schweigt dazu noch.
Prof. Schmidt: Das war ein sehr wichtiger Punkt in unserem 
Ratsgutachten. Zwar fand es unsere Zustimmung, dass die neue 
Bundesregierung Bildung, Innovation und Wachstum als Leitmotiv 
genannt hatte. Problematisch war hingegen die Ankündigung von 
Steuerentlas"tungen für die Bürger, ohne zu sagen, wo das Geld 
herkommen soll. Der Bund muss aufgrund der Schuldenbremse 2011 mit 
dem Sparen beginnen und es immer weiter verschärfen. Allein 2016 muss
er nahezu 40 Milliarden Euro einsparen. Das kann man nur auf zwei 
grundsätzlich verschiedene Arten realisieren: Mehr einnehmen oder 
weniger ausgeben. Mehr Einnahmen bedeuten Steuererhöhungen. Dies wäre
für das Wachstum kontraproduktiv. Der Staat sollte also auf der 
Ausgabenseite ansetzen. Aber wie bekommt man diese große Summe 
zusammen? Das geht nur, wenn man Subventionen abbaut, 
Steuervergünstigungen stark beschneidet oder bei den Personal- und 
Sachausgaben spart. Also im Öffentlichen Dienst etwa Stellen abbaut 
und hart verhandelt, was aber schwer wird: Gerade haben die 
Gewerkschaften fünf Prozent mehr Lohn im Öffentlichen Dienst 
gefordert.
Noch einmal kurz zurück zu Griechenland: Wer sollte, wer kann, wer
darf denn überhaupt helfen?
Prof. Schmidt: Die Vereinbarungen, die wir in Europa haben, sehen 
vor, dass einem Staat in einer solchen Klemme nicht geholfen wird. Im
Endeffekt wird es wohl schwer sein, einfach daneben zu stehen und 
Griechenland fallen zu lassen. Man wird wohl doch den einen oder 
anderen Weg an den Regelungen vorbei finden, um im Notfall 
einzugreifen. Und man kann es sich einfach nicht leisten, große 
Verwerfungen zu riskieren. Es gibt aber auch einige Ökonomen, die 
meinen, man sollte Griechenland ruhig in den Staatsbankrott gehen 
lassen. Griechenland wäre schließlich nicht so groß, als dass es die 
anderen nicht verkraften könnten. Zudem würde es die Währungsunion 
eher stärken, da die Nicht-Eingreifs-Klausel glaubhaft wäre.
Hat Deutschland nicht ein vitales Interesse daran, dass 
Griechenland nicht pleite geht, weil deutsche Firmen noch auf rund 20
Milliarden Euro aus Griechenland warten?
Prof. Schmidt: Das ist einer der Gründe, warum es für die Politik 
so schwer ist: Betroffene werden ihre Stimme erheben. Und je besser 
deren Interessen organisiert sind, umso schwerer wird es, dem 
öffentlichen Druck einer Hilfsaktion zu widerstehen. Ich gehe davon 
aus, dass man Griechenland zwingt, weitere Schritte hin zu einer 
fiskalischen Solidität einzuleiten. Und wenn es Spitz auf Knopf 
stünde, gehe ich davon aus, dass Griechenland nicht fallen gelassen 
wird.
Auch mit Spaniens Finanzen steht es schlecht. Wie stark 
beschädigen die Krisen das Ansehen des Euro?
Prof. Schmidt: Bislang ist der Euro stabil. Aber in dem 
Augenblick, in dem Griechenland, Spanien und Irland Schwierigkeiten 
hätten, wäre es problematisch. Insofern haben wir ein vitales 
Interesse daran, dass es nicht zu einer solchen Situation kommt. 
Deutschland ist sicherlich noch mehr in der Pflicht als andere, dass 
die Gemeinschaft nicht auseinander bricht. Und das wird uns gewiss 
noch einiges kosten.
Ihr Institut widmet sich unter anderem der Analyse von Ursache und
Wirkung wirtschaftspolitischer Eingriffe ins Marktgeschehen. Waren 
die Eingriffe der Bundesregierung in den Bankensektor erfolgreich 
genug?
Prof. Schmidt: Im Großen und Ganzen war es beeindru"ckend, wie 
schnell Schutzschirme für den Bankensektor aufgespannt worden sind. 
Es war eine richtige und unverzichtbare Maßnahme, den Finanzsektor zu
stützen. Dennoch gibt es Kritik: Die Rekapitalisierung der Banken ist
eine rein freiwillige Maßnahme geblieben. Der Bankensektor ist aber 
ein Wirtschaftszweig, in dem die Unternehmen nicht nur für sich 
selbst Risiken eingehen, sondern das ganze System gefährden können. 
Der Staat sollte daher im Einzelfall Unternehmen zwingen können, sich
mehr Eigenkapital zu besorgen. Dies war zum Beispiel in den USA der 
Fall. Konnte sich eine Bank Kapital nicht auf dem Markt besorgen, 
stieg der Staat bei der Bank ein. Natürlich kann es nicht darum 
gehen, auf Dauer eine staatliche Bank herzustellen. Und es wird 
schwierig, aus dieser Situation wieder herauszukommen. In Deutschland
gibt es zum Beispiel immer noch Landesbanken, obwohl sie im Prinzip 
kein Geschäftsmodell haben. Stattdessen wurden -- obwohl Politiker in
den Aufsichtsräten saßen und sitzen -- riskante Kreditersatzgeschäfte
getätigt. Damit haben die Landesbanken einen Teil der Krise 
mitverursacht.
Wieviele der sieben Landesbanken sollten denn übrigbleiben: Zwei, 
eine oder keine?
Prof. Schmidt: Ich habe schon große Schwierigkeiten, mir 
vorzustellen, warum es zwei geben muss. Möglicherweise muss es nicht 
einmal eine geben, denn die Sparkassen haben ja ohnehin eine 
Zentrale.
Sie haben die Rekapitalisierung von Banken angesprochen. Die EZB 
hat schon mehrfach hunderte Milliarden Euro in den Markt gepumpt. 
Trotzdem sprechen viele von einer Kredtiklemme. Investieren die 
Banken das Geld lieber wieder in spekulative Geschäfte, als es 
Unternehmen zu leihen?
Prof. Schmidt: Die Banken sind einerseits in einer Situation, in 
der wir von ihnen eine vorsichtigere Kreditvergabe verlangen, damit 
es eben nicht wieder zu einer großen Krise kommt. Andererseits 
beklagen Unternehmen eine zu restriktive Kreditvergabe. Aus dieser 
Gemengelage eine Kreditklemme herauszulesen, ist schwierig. Wir gehen
davon aus, dass es in den vergangenen Monaten keine Klemme gegeben 
hat, das Risiko aber noch nicht gebannt ist. Insofern ist es positiv,
dass die Banken derzeit ihr Eigenkapital stärken. Allerdings ist auch
die implizite Garantie des Staates immer noch da. Nach dem Aus von 
Lehman Brothers war klar: Der Staat wird in der Krise einspringen. 
Früher hat man gesagt: Wenn ihr solche Risiken eingeht, dass ihr in 
die Schieflage kommt, helfen wir euch möglicherweise, möglicherweise 
aber auch nicht. Weil ihr das vorher nicht wissen könnt, habt ihr 
einen Anreiz, vielleicht doch nicht so große Risiken einzugehen. Dies
ist nach dem Fall Lehman vollkommen unglaubwürdig geworden. Natürlich
wird der Staat einspringen, denn kein Staat kann sich einen zweiten 
Fall Lehman leisten. Insofern ist der Anreiz für Bankmanager, 
übermäßige Risiken einzugehen, derzeit ebenso groß wie vor der Krise.
Deshalb brauchen wir bessere Regulierungen als bisher.
Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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