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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Wahlrecht/Bundestag

Regensburg (ots)

Masse ist nicht gleich Klasse

von Reinhard Zweigler, MZ

Alles ist relativ. Der jetzige Deutsche Bundestag mit 630 Abgeordneten scheint manchem überdimensioniert. Andere wiederum halten ihn für zu klein. Dabei relativiert sich die schiere Zahl der Abgeordneten für ein 80-Millionen-Volk, wenn man sich etwas in der Welt umschaut. Der kluge und gewitzte Bundestagspräsident Norbert Lammert hat errechnet, dass, verglichen mit dem 30-köpfigen Parlament des Fürstentums Liechtenstein, der Bundestag glatt 6000 Abgeordnete haben müsste. Verglichen mit dem chinesischen Volkskongress allerdings dürfte das oberste deutsche Parlament lediglich 60 Mandatsträger und -trägerinnen umfassen. Darüber, was die angemessene Größenordnung für den Bundestag ist, tobt derweil eine heftige politisch-parlamentarische Debatte. Allerdings verläuft sie nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schlagzeilen in den Medien dazu gibt es nicht. Es ist schon seltsam: Wir wissen zwar, dass am 24. September ein neuer Bundestag gewählt werden wird, doch wie viele Abgeordnete ihm angehören werden, kann niemand sagen. Die Ursache liegt im nicht gerade einfachen deutschen Wahlrecht, das obendrein vor knapp fünf Jahren nach einem höchstrichterlichen Spruch aus Karlsruhe nochmals verändert, das heißt vor allem verkompliziert, wurde. Wahlrechtsfragen sind auch immer Machtfragen. Sechs Jahrzehnte lang wurde es bei Wahlen zum Bundestag hingenommen, dass vor allem die großen Parteien - CDU, CSU in Bayern sowie teilweise die SPD -, die besonders viele Direktmandate ergatterten, bevorzugt wurden. Sie errangen sogenannte Überhangmandate. Das ist eine rechnerische Größe, die aussagt, wie viele Mandate die betreffende Fraktion mehr bekam, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustünden. Nach einer Verfassungsklage von SPD, Grünen und vielen erbosten Wahlbürgern sowie dem entsprechenden Spruch der Karlsruher Richter wurden sogenannte Ausgleichsmandate eingeführt. Sie sollen den Vorteil der großen für die kleineren Parteien zumindest etwas ausgleichen. Bei der Bundestagswahl 2013 hat dies noch im überschaubaren Rahmen funktioniert. Es kam zu vier Fraktionen, die jeweils mit Ausgleichsmandaten bedacht wurden. Doch nun streben neben den jetzigen Fraktionen gleich zwei weitere Parteien, die AfD sowie die FDP, ins Parlament. Zumindest haben sie Aussicht darauf, dem nächsten Bundestag anzugehören. Sollten eine oder zwei Fraktionen allerdings sehr viele Direktmandate erringen, wesentlich mehr, als es ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zustünde, dann könnte der komplizierte Mechanismus der Ausgleichsmandate in der Tat zu einem XXL-Bundestag führen. Mehr Abgeordnete gleich mehr Demokratie, könnte man meinen. Allerdings trifft der schlichte Satz - Masse ist gleich Klasse - für die Arbeit eines Parlaments nur bedingt zu. Noch mehr Abgeordnete als bisher schon würden die Arbeit der obersten Volksvertretung nicht einfacher machen, schon gar nicht effizienter, sondern komplizierter, noch langwieriger und - auf jeden Fall - für den Steuerzahler teurer. Aber wollen wir das wirklich? Es gibt keinen Königsweg für das Wahlrecht, das auch deshalb so kompliziert gemacht wurde, weil es möglichst allen Interessen irgendwie gerecht werden sollte. Doch nun droht das nächste Parlament durch noch viel mehr Abgeordnete, die erst nach komplizierten Rechenoperationen ihr Mandat erhalten, gelähmt zu werden. Das muss nicht sein. Noch ist der Zug nicht abgefahren, dass sich die jetzigen Fraktionen auf eine sinnvolle Begrenzung der künftigen Mandate des Bundestages verständigen.

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