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Mittelbayerische Zeitung: Der große Unterschied

Regensburg (ots)

Von Ulrich Krökel

Das Todesurteil gegen die chinesische Politikergattin Gu Kailai fiel nach einem gerade einmal sieben Stunden währenden Prozess. Mehr Zeit war nicht nötig, denn hinter den Gerichtskulissen hatte die kommunistische Führung ihr Verdikt längst gefällt. Immerhin acht Verhandlungstage hatte sich das Gericht in Moskau Zeit gelassen, bevor es am vergangenen Freitag die Punkband Pussy Riot schuldig sprach. Zeugen der Verteidigung fanden aber auch dort kaum Gehör. Ähnlich skandalös gestalten sich die Verfahren gegen Julia Timoschenko in der Ukraine. Dort lassen die Behörden die erkrankte Oppositionsführerin hinter Gittern rund um die Uhr per Kamera überwachen. Die Würde des Menschen zählt in den Gerichtssälen und Gefängnissen von Hefei, Charkiw und Moskau wenig. Von Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinne sind Russland und die Ukraine ähnlich weit entfernt wie China. Das haben die Verfahren gegen Gu Kailai, Pussy Riot und Julia Timoschenko deutlich gezeigt. In allen Fällen waren die Schuldsprüche politisch motiviert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Pekinger KP-Führung wie auch Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch die Justiz aus den Schaltzentralen der Macht heraus lenken. Die beiden osteuropäischen Staatschefs machen daraus im Gegensatz zu den dezenteren Chinesen nicht einmal einen Hehl. Sie taten noch während der laufenden Verfahren ihre Vorstellungen von einem "korrekten" Urteil kund. Janukowitsch verstieg sich sogar zu der Aussage, es gebe Beweise dafür, dass Timoschenko über die bisherigen Anschuldigungen hinaus in einen Mord verwickelt sei. Dass er mit dieser Vorverurteilung gegen alle Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstieß, war ihm nicht einmal bewusst. Dem norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg kämen derartige Äußerungen vermutlich nicht in den Sinn. "Anders Breivik steht ein fairer Prozess zu", sagte der Regierungschef nach den Horrortaten von Oslo am 22. Juli 2011. Breivik hatte aus angeblich politischen Motiven 77 Menschen getötet, vor allem Jugendliche. Ein Jahr später resümierte Stoltenberg: "Die Nation hat in unerschütterlicher Verteidigung von Offenheit und Demokratie zusammengestanden." Tatsächlich hat sich die norwegische Gesellschaft über Monate hinweg mit dem Prozess gegen den mutmaßlichen Massenmörder gequält. Das Verfahren war vom ersten Tag an transparent und fair. Die Richterin ließ ein zweites psychologisches Gutachten erstellen, weil die Frage der Zurechnungsfähigkeit für die Urteilsfindung von entscheidender Bedeutung sei. Niemand in Norwegen wollte einen kurzen Prozess. Am Freitag wird das Urteil gesprochen - als Akt einer unabhängigen Justiz. Der Ausgang des Verfahrens ist anders als in China, Russland und der Ukraine offen. Wie tief die Gräben zwischen West und Ost mit Blick auf das Rechtsstaatsverständnis sind, zeigt indes vor allem die Reaktion der Bürger. In China, Russland und der Ukraine hält ein großer Teil der Bevölkerung die Polit-Gattin, die Pussy-Punks und Timoschenko für schuldig. Das allein reicht ihnen, die Urteile für richtig zu halten. Ob es ein faires Verfahren gab, ist vielen im Volk egal. Anders in Norwegen. An Breiviks Schuld zweifelt kaum jemand. Dennoch hält eine überwältigende Mehrheit der Norweger ein rechtsstaatliches Verfahren für die entscheidende Voraussetzung von Urteil und Strafe. Oslo und Moskau/Charkiw/Hefei trennen in diesen Prozesstagen Welten. Eine Erklärung kann nur die Geschichte liefern. Man bedenke, dass sich das westliche Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie über Jahrhunderte hinweg ausgebildet hat. Unter der Herrschaft von Zaren und roten Diktatoren hatten die Menschen im Osten diese Chance nicht. Derart langfristige Prägungen lassen sich nicht von heute auf morgen verändern. Und dennoch: Wenn wir unsere eigenen Werte ernst nehmen, sollten wir immer wieder zeigen, dass Oslo überall ist.

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