Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e.V.
Nervengift Acetamiprid: EU senkt Grenzwerte – Deutschland spritzt noch mehr
Nervengift Acetamiprid: EU senkt Grenzwerte – Deutschland spritzt noch mehr
Widersprüchlicher kann die Politik nicht handeln: Während die EU-Kommission die Grenzwerte von Acetamiprid in Lebensmitteln strenger setzt und erst im Januar abgesenkt hat, wird in Deutschland mit Notfallzulassungen das für Bienen und Menschen gefährliche Neonicotinoid im Freiland noch großflächiger verspritzt. Mit schlimmen Folgen: Das Nervengift landet mit Salat, Kirschen, Zucchini, Paprika und Spinat auf unserem Esstisch und ist bereits im Gehirn von Kindern nachgewiesen worden.
78 neue Notfallzulassungen für 2025 hat das Verbraucherschutzministerium (BVL) vorgestern, am 3. Juni veröffentlicht. Darunter 10 Anwendungen von dem hochgiftigen Neonicotinoid Acetamiprid. Während sich früher die Notfallzulassungen für Neonicotinoide in erster Linie für den Einsatz als Saatgutbeize bei Zuckerrüben beschränkten, kann es in den letzten Jahren „über die bestehende Zulassung hinaus“ im Freiland auch an Futtererbse, Sonnenblume und – dieses Jahr ganz neu – auch an Kartoffeln bis zu 120 Tage verspritzt werden. Nicht nur für Bienen, auch für Menschen nimmt die Belastung jedes Jahr zu, kritisieren der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund und das Bündnis für Neonikotinoidfreie Landwirtschaft.
500.000 Fußballfelder: 7-mal mehr Fläche als letztes Jahr
„Mit der Kartoffel kommt nicht nur eine neue Pflanze hinzu, sondern – was noch viel schlimmer ist – insgesamt sind die erlaubten Flächen deutlich erweitert worden.“ Bündnissprecher Matthias Rühl ist schockiert über das Ausmaß: „Während für vier Produkte mit dem Wirkstoff Acetamiprid die Spritzung von insgesamt „nur“ 94.000 Hektar in 2023 und 54.000 Hektar in 2024 freigegeben war, sind es in diesem Jahr mit Stand 4.6.2025 insgesamt 359.000 Hektar. Das sind sieben Mal mehr als letztes Jahr. Insgesamt reden wir da von rund 500.000 Fußballfeldern.“
Acetamiprid schädigt das Nervensystem und wird zur Bekämpfung von Schädlingen, in der Landwirtschaft, bei Zuckerrüben insbesondere gegen die Schilf-Glasflügelzikade, in Gewächshäusern und sogar in Wohngebieten eingesetzt. Sein Einsatz stieg massiv an als 2018 die drei Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam für den Freilandeinsatz als Saatgutbeize verboten wurden. U.a. weil sie für Wild- und Honigbienen hochtoxisch sind. Man wich auf Acetamiprid aus. Es war das einzige in Deutschland noch zugelassene Neonicotinoid. Während die Nutzung als Saatgutbeize – nur das Saatgut wird mit dem Insektengift ummantelt – die Verbreitung in der Umwelt noch etwas eindämmte, ist das beim Spritzen nicht mehr so.
Abdrift gefährdet Bienen und Menschen
Gespritzt verteilt sich das Pestizid mit der Abdrift durch Wind kilometerweit bis in Naturschutzgebiete, auf 1500 Höhenmeter in Bergregionen und sogar in abgelegene Bergtäler. Das wurde in mehreren aktuellen Studien nachgewiesen. Das Mittel wirkt systemisch und verteilt sich in der ganzen Pflanze. Es wird es nicht nur von Schädlingen, sondern auch von Nützlingen wie Honig- und Wildbienen und über Obst und Gemüse auch von uns Menschen in mittlerweile relevanten Mengen aufgenommen.
Nervengift in Gehirnen von Kindern nachgewiesen
Foodwatch warnte schon vor 2 Jahren, dass der Absatz von Acetamiprid seit dem Verbot der anderen Neonicotinoide „stark angestiegen“ sei. Mit fatalen Folgen: „Immer mehr Rückstände landen im Essen. Die Belastung von Obst und Gemüse mit Acetamiprid hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht! Besonders betroffen: Süßkirschen, Pomelos, Zucchini, Auberginen, Spinat und Paprika.“ Erst Ende Januar hat die EU-Kommission die Rückstandswerte von Lebensmitteln mit Acetamiprid deshalb deutlich abgesenkt. Diese Verbesserung für den Verbraucher war schon länger geplant u. a. weil „Acetamiprid-Abbauprodukte im Gehirn von Kindern und Erwachsenen nachgewiesen worden waren.“
Schnell noch Notfallzulassungen vor August 2025?
Allerdings tritt die EU-Verordnung erst am 19. August in Kraft. Es scheint so, also ob man die Zeit bis dahin noch mit vielen Notfallzulassungen ausnutzen möchte.
BVL vergisst eigene Regeln: Fruchtfolge ist „mildere Maßnahme“
Das BVL schreibt selbst, dass Notfallzulassungen nur begründet seien, „wenn eine Gefahr für die Gesundheit und den Schutz von Kulturpflanzen nicht anders abzuwenden“ und sichergestellt ist, „dass die menschliche Gesundheit nicht gefährdet wird.“ Aber: Acetamiprid ist laut einer aktuellen Studie der Uni Hohenheim für bestimmte Insekten wie Weichwanzen 11.000 mal giftiger ist als bislang gedacht und damit eine Gefährdung sicher gegeben. Und: Diese Gefährdung der Umwelt und unserer Lebensmittel wäre überhaupt nicht nötig, wenn eine vernünftige Fruchtfolge eingehalten würde. Denn das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) schreibt selbst: „Wintergetreide ist für den Lebenszyklus der Zikade eine wichtige Grundlage. Der Verzicht auf Wintergetreide nach Zuckerrüben und Kartoffeln mindert den Befall wesentlich.
Links und Quellen:
- Gefährliches Insektengift in Lebensmitteln: https://www.foodwatch.org/de/gefaehrliches-insektengift-in-lebensmitteln
- EU-Kommission senkt Grenzwerte für Acetamiprid: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ:L_202500158
- Einschränkung der Anwendung von Acetamiprid: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fachmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/2024/2024_10_23_Fa_Acetamiprid_RHG_Absenkung.html
- Liste der Notfallzulassungen: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/04_Pflanzenschutzmittel/01_Aufgaben/02_ZulassungPSM/01_ZugelPSM/02_Notfallzulassungen/psm_ZugelPSM_notfallzulassungen_basepage.html;jsessionid=64562F456C9D978C6D0D054455CA9AAA.internet982?nn=11031260#doc11031262bodyText4
- Abdrift von oberflächlich ausgebrachten Spritzmitteln: https://rptu.de/newsroom/pressemitteilungen/detail/news/pressemeldung-studie
- Abdrift bis in die Bergwelt auf 1500 Höhenmeter: https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/meldungen/studie-bestaetigt-pestizide-flaechendeckend-nachweisbar/
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/pflanzenbau/pflanzenschutz/schilf-glasfluegelzikade.html)
- Antworten auf aktuelle Fragen zu Auswirkungen von Neonikotinoiden: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fokusmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/2021/2021_02_12_fokus_Auswirkungen-von-Neonikotinoiden.html
- Neonicotinoide - ein Risiko für Bienen: https://www.landwirtschaft.de/umwelt/natur/biodiversitaet/neonicotinoide-ein-risiko-fuer-bienen
Rückfragen an:
Matthias Rühl, Sprecher beim Bündnis für Neonicotinoidfreie Landwirtschaft
E-Mail: matthias.ruehl@t-online.de
Janine Fritsch, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund
Tel: 0151 / 651 68 241, E-Mail: presse@berufsimker.de
05.06.2025/Berufsimkerbund/Janine Fritsch
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