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WAZ: Der Zaun als Politik: Die Dornenkrone von Heiligendamm - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Jeder Zaun ist eine Niederlage.
Mancher, wie der an der DDR-Grenze, aus echter Not geboren: zur 
Existenzsicherung einer einzigen, fundamentalen 
Menschenrechtsverletzung. Andere, wie der an der US-Grenze zu Mexiko,
befestigen eine Illusion: vor unerwünschter Einwanderung gefeit zu 
sein. Wobei wohl viele derselben Konservativen in den USA, die diesen
Zaun befürworten, gerne ihren Garten oder den Abwasch von 
mexikanischem Personal machen lassen, das doch irgendwie durchkam.
Kein Zaun ist eindeutig. Zäune definieren nicht nur Drinnen und 
Draußen, sondern mehr als das: Gewinner und Verlierer. Wobei nicht 
eindeutig ist, ob etwa der Zaun in Israel die Israelis zu Gewinnern 
macht. Ein Zaun sagt: Hier endet Kommunikation. Jedenfalls die der 
offenen Art. Wer einen Zaun baut, der sagt: Ich rede nur noch mit wem
ich will. Und der Rest?
Ein Zaun ist nicht liberal. Schon gar nicht marktwirtschaftlich. 
Ein Zaun ist, ökonomisch betrachtet, Protektionismus. Ergo ist ein 
Zaun so etwas wie ein metal-lener Globalisierungskritiker. Würde die 
offene Gesellschaft ihre Feinde aufzählen müssen, die Zäune zählten 
dazu.
Der Zaun von Heiligendamm ist nicht einfach ein Zaun. Sondern 
einer mit einer Dornenkrone aus Stacheldraht. Genau dies, der 
zerstörerische, schneidende Draht, nimmt diesem Zaun auch noch den 
letzten Anschein von Unschuld. Der Stacheldraht wirkt, auf 
empfindliche Menschen mindestens, wie ein historisches Zitat: DDR, 
KZ. Gerade deshalb muss man sich wundern: Wieso lassen Menschen, die 
wissen um die ungeheure Macht der Bilder, Spitzenpolitiker nämlich, 
es zu, dass von Deutschland aus derartig missverständliche Bilder um 
die Welt gehen? Wie groß wird der Schaden sein, den dieser spezielle 
Zaun stiftet an dem herzerfrischend anderen, durch Bilder gestifteten
Deutschland aus fußballseligen, feiernden, völlig entspannten, 
unverkrampften Patrioten? Man stelle sich vor, eine junge Frau oder 
ein junger Mann verfängt sich im messerscharfen Gestrüpp.
Aber was soll man machen, angesichts von Chaoten? Einfach: sich 
sehr kurzfristig treffen im Hinterzimmer einer x-beliebigen 
Pils-Kneipe irgendwo in Deutschland. Oder eine Videokonferenz 
abhalten. Hauptsache, Klartext reden über Sachen, die nicht passen in
ein kieselglattes Kommunique. Ironischerweise geben die sog. 
Globalisierungsgegner der Heiligendammer Veranstaltung eine 
Bedeutung, die ihr nicht zukommt. Der Gipfel hat nicht mal einen Zaun
verdient.

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Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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