Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Piraten vor Somalia - Scheuklappen ablegen - Leitartikel von Johannes Dieterich
Essen (ots)
Was sich derzeit am Horn von Afrika abspielt, erinnert an die Hochzeit der Bukanier im 17. Jahrhundert: Nur, dass heute nicht mehr die spanische Silberflotte oder venezianische Galeeren, sondern moderne Fischkutter, Containerschiffe oder gar Supertanker im Fadenkreuz der Freibeuter stehen. Die Kaperung der saudi-arabischen "Sirius Star" bildete den vorläufigen Höhepunkt des bizarren Anachronismus. Kalaschnikow schwenkende Hasardeure gegen Mega-Pötte, deren Ware allein über hundert Millionen Dollar wert ist: Ungleicher kann das Kräfteverhältnis kaum ausfallen.
Kein Wunder, dass die ganze Welt ob der Erfolge der Seeräuber nicht nur empört ist, sondern auch staunt: Dass es einigen Haudegen gelingt, die gesamte, den Suez-Kanal passierende Weltschifffahrt in Atem und obendrein zwei Dutzend hochmoderner Kriegsschiffe zum Narren zu halten, stößt auf Verwunderung. Und, seien wir ehrlich, auch auf ein wenig Schadenfreude.
Nun schreien, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, alle nach dem starken Mann. Kriegsschiffe der USA, der Nato und der EU sollen den gesetzlosen Schurken Einhalt gebieten: Der Bundestag denkt bereits über einen langfristigen Anti-Pirateneinsatz nach. Dabei kreuzen schon längst zwei Dutzend Zerstörer, Fregatten und Korvetten aus aller Welt ums Horn von Afrika. Immer deutlicher stellt sich jedoch heraus, dass die starken Männer gar nicht viel auszurichten vermögen: Vor ihren Augen wird ein Schiff nach dem anderen gekapert. Man müsste praktisch jedes der 20 000 jährlich den Golf von Aden passierenden Schiffe einzeln begleiten, um Überfälle auszuschließen, klagt eine Sprecherin der US-Marine. Das ist natürlich ausgeschlossen.
Selbst die starken Männer räumen deshalb ein, dass der somalischen Piraterie nur auf politische und nicht auf militärische Weise beizukommen ist. Solange die Lage im Chaosstaat nicht grundsätzlich verbessert wird und seine Gewässer nicht effektiv geschützt werden, wird es immer Freibeuter geben. Dabei dürfte der Schutz der Gewässer ein Leichtes sein. Wesentlich schwerer wird die Befriedung Somalias. Auch diese ist jedoch mitnichten ausgeschlossen. Schon seit Jahren mischt sich Washington massiv in die somalischen Belange ein, um dort die Islamisten auszuschalten, und trägt so wesentlich zur Destabilisierung des Landes bei. Neben fanatischen Gotteskriegern gibt es in Somalia eine Mehrheit gemäßigter Islamisten. Der Westen sollte daher endlich seine ideologischen Scheuklappen ablegen und Somalias einzige Hoffnungsträger unterstützen.
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