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WAZ: Sterben im Museum - Der öffentliche Tod und die Kunst - Leitartikel von Gudrun Norbisrath

Essen (ots)

Es ist nicht immer leicht zu verstehen, was Kunst
will. Manchmal tut Kunst weh, und muss wehtun.
Ein Künstler will einem Menschen beim Sterben zusehen lassen. Der
Künstler wird als zurückhaltend, wenn auch ein bisschen düster 
beschrieben; keiner, der die platte Sensation sucht. Seine 
Provokation soll darin liegen, dass er andere dazu bringt, über das 
Sterben nachzudenken. Sagt er. Seine Idee kommt aber ganz anders an, 
und das hat seinen Grund.
Wir verdrängen das Sterben nicht nur, weil wir gerade keine Lust 
haben, uns damit auseinanderzusetzen, sondern vor allem, weil dem Tod
realer Schrecken innewohnt. Dass Tod schön sein könne, edel, rein - 
es ist eine süßliche Lüge. Der Tod ist das Ende und auch für Christen
ein Schritt über die Grenze des Erfahrbaren. Das macht Angst. Selbst,
wenn alle Krankenhäuser licht und hell und alle Pfleger liebevoll und
warm wären, verlöre der Tod nicht seinen Schrecken, er würde nur 
gemildert. Das ist das eine.
Das andere: Es ist nicht alles Kunst, was sich so gebärdet. Es 
ist kein Sakrileg zu fragen, ob Aktionen mit blutigen Schweinehälften
Kunst sind; es ist erlaubt und muss erlaubt bleiben zu fragen, ob 
Jeff Koons öffentlicher Geschlechtsakt Kunst ist oder das Urinal von 
Marcel Duchamp. Wer solche Fragen als quasi blasphemisch abwehrt, 
schadet der Kunst: Denn nur, wer fragt, kann Sinn entdecken. 
Pauschale Antworten gibt es nicht, was man daran sieht, dass nicht 
jedes Urinal eine Skulptur ist.
Bei Gregor Schneiders Plan, Sterben öffentlich zu inszenieren, 
stellt sich die Frage aber gar nicht. Jedem, der es möchte, wird es 
ein Leichtes sein, ein Kamerateam an sein Sterbebett zu holen; die 
Sender wären leider begeistert. Der Künstler, der glaubt, es gehe um 
Schönheit und Würde des Sterbens, verfällt in Wirklichkeit den 
Mechanismen einer zutiefst voyeuristischen Gesellschaft. Er wird das 
nicht wollen, aber das macht die Sache nicht besser.
Wie kann es dazu kommen? Braucht Kunst in einer medial 
abgestumpften Welt absurde Übertretungen? Hat sie sich so weit 
erschöpft, dass nur noch Schockierendes wirkt? Die Antwort ist 
einfach. Nein. Kunst hat sich zu allen Zeiten mit dem Tod befasst, 
und drastisch genug. Sterben real abzubilden und öffentlich zur Schau
zu stellen, ist weltfremd und Menschen verachtend. Das ist schlecht, 
sehr schlecht für die Kunst. Sie könnte an Boden verlieren, den sie 
dringend braucht.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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