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"Berliner Morgenpost": Berlin bricht auf - Leitartikel von Jörg Quoos zu Kai Wegner

Berlin (ots)

Die Hauptstadt bekommt heute einen neuen Regierenden Bürgermeister - wenn die Regie der SPD-Führung funktioniert und sich die sozialdemokratischen Abgeordneten auch in geheimer Abstimmung dem Votum der Basis fügen. Aber auch ein zweiter Wahlgang wäre für Kai Wegner zu verschmerzen, schließlich brauchte schon Amtsvorgänger Klaus Wowereit im Jahr 2006 zwei Anläufe, um an die Macht zu kommen.

Fest steht aber auch: Das Fundament der schwarz-roten Koalition wird erst mal dünn bleiben. Der mit 54 Prozent äußerst knappe Mitgliederentscheid und eine anhaltende Aversion im links-grün orientierten Lager der SPD sind eine Hypothek für die neue Regierung, aber keine, die man durch gute Politik nicht auflösen kann.

Mit der Zusammensetzung des Senats hat Kai Wegner jedenfalls viele überrascht, die dem neuen Mann einen Rückfall ins politische Biedermeier unterstellten. So divers und schillernd war bislang keine Regierung der Stadt.

Dass viele Senatsmitglieder eine ostdeutsche Biografie haben, ist ein gutes Statement in einer Zeit, in der sich Ostdeutsche wieder gegen Vorurteile und Diffamierungen behaupten müssen. Das war also bisher kein schlechter Start. Und Kai Wegner sollte jetzt Fairness und die üblichen 100 Tage Schonfrist erwarten dürfen, bevor er sich mit seiner Truppe dem ersten kritischen Performance-Check stellen muss.

Die Last der Erwartungen, die Kai Wegner ab dem ersten Tag im Amt mitschleppen muss, ist ohnehin groß. Seine Wählerschaft hat in einem tendenziell links-grünen Berliner Milieu Nachholbedarf an bürgerlicher Politik. Die muss er liefern, sonst wäre die Enttäuschung groß. In der riesigen Berliner Verwaltung und in den öffentlichen Betrieben erwartet man hemdsärmelige Unterstützung vom Chef und kein öffentliches Bashing.

Und das hippe, weltoffene Kulturmilieu der Millionenmetropole will Ideen vom Senat, die unterstreichen: Eine Stadt wie Berlin muss auch sexy sein. Mit diesem Anspruch lag Klaus Wowereit durchaus richtig, auch wenn er dafür hätte sorgen müssen, dass Berlin nicht arm bleibt.

Als sehr spezielles Handicap für Wegner kommt Franziska Giffey hinzu. Wird die ehemalige Regierende Bürgermeisterin ihm fair zuarbeiten und auch in Krisen zu Schwarz-Rot stehen? Oder wird Kai Wegner ständig ihren heißen Atem im Nacken spüren, weil Giffey möglichst schnell wieder den Chefsessel im Roten Rathaus zurückhaben will? Dieses persönliche Zusammenspiel zwischen Wegner und Giffey wird also über den Erfolg des neuen Senats mitentscheiden. Das wird beim Chef Fingerspitzengefühl erfordern und bei seiner Stellvertreterin Loyalität. Als Garant der Koalition muss auch SPD-Chef Raed Saleh stehen. Er hat Wegners und Giffeys Vertrauen, das macht ihn bei diesem Projekt unverzichtbar.

Dass es auch in den ersten Wochen mal rumpeln kann, sollte keinen ernsthaft überraschen. Der Koalitionsvertrag ist auf einigen seiner 135 Seiten sehr wolkig formuliert. Wenn solche Abmachungen in konkrete Politik gegossen werden, bleibt ein Streit selten aus - die Ampel-Regierung lässt grüßen. Wichtig ist, dass die neue Koalition vom ersten Tag an den Blick auf das große Ganze nicht verliert und klug priorisiert. So groß und drängend sind viele Aufgaben in der Stadt. Nur mit viel Pragmatismus und möglichst wenig Ideologie kann man das gewaltige Versprechen einlösen, das auf dem schwarz-roten Ehedokument von CDU und SPD prangt: das Beste für Berlin!

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