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BERLINER MORGENPOST: Europa ist kein Selbstläufer mehr Leitartikel von Jochim Stoltenberg zu den Folgen des Rechtsrucks nach der Wahl des EU-Parlaments

Berlin (ots)

Es hätte schlimmer kommen können, aber es ist schlimm genug. Europa hat sich aus der Mitte heraus nach rechts bis rechts außen verschoben, wenn auch insgesamt nicht ganz so dramatisch, wie nach den Prognosen befürchtet. Im neuen EU-Parlament behalten die vom vereinten Europa und vom Euro überzeugten Parteien zwar mit mehr als 60 Prozent der Stimmen noch eine klare Mehrheit. Doch sie haben deutlich Stimmen gegenüber Populisten und Extremisten aus dem rechten und linken Spektrum verloren. Wie sich das auf die Arbeit des mit gewachsener Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Parlaments auswirken wird, ist noch offen.

Auch deshalb, weil das rechte Lager in sich zerstritten ist. Aber es hat nun eine Bühne, auf der es Enttäuschung und Unmut über Euro-Rettung, Sparauflagen, EU-Erweiterung oder Asylpolitik medienwirksam artikulieren kann. Themen, deren Bedeutung und Notwendigkeit die traditionellen Europa-Parteien den Wählern nicht überzeugend erklären konnten. Ein Warnsignal also, die Sorgen vieler Europäer über die Zukunft der Gemeinschaft ernster zu nehmen und nicht länger als Spinnerei abzutun.

Wie in früheren Europa-Wahlen und den Volksabstimmungen über die EU-Verfassung war das Wählerverhalten auch von innenpolitischen Abrechnungen mit den nationalen Regierungen mitbestimmt. Das hatte vor allem in Frankreich dramatische Folgen. Der Sieg der Front National zwingt die sozialistische Regierung von François Hollande geradezu, in der EU auf einen Politikwechsel hin zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und weniger Haushaltskonsolidierung zu drängen. Da zeichnen sich gefährlichere Konflikte auf der Ebene der Regierungschefs ab als im EU-Parlament.

Zum Schluss eine Mahnung an die Europa-Parteien, denen zusammen ein beachtlicher Denkzettel verpasst wurde. Sie werden noch mehr Vertrauen verspielen, wenn sie sich wie die Kesselflicker über den künftigen Kommissionspräsidenten streiten.

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Telefon: 030/2591-73650
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