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Berliner Morgenpost: Die Angst des Tormanns vor dem eigenen Leben - Leitartikel

Berlin (ots)

Deutschland ist erschüttert. Der Freitod des
Fußballtorwarts Robert Enke wühlt die Nation auf. Gleich nach den 
Freudentränen der Mauerfalls trauert das Land gemeinsam über die 
Tragödie einer tiefen Einsamkeit. DFB-Chef Theo Zwanziger und Manager
Oliver Bierhoff weinten stellvertretend für Millionen aufrichtig 
Bestürzter. Hilflosigkeit herrscht, die bohrende Frage nach dem 
Warum.
Scheinbar hatte der Fußball-Profi Enke alles, was ein glückliches 
Leben braucht: Familie, Wohlstand, Ruhm. Der tragische Tod der 
kleinen Tochter Lara 2006 schien langsam zu verblassen; ein 
adoptiertes Mädchen hatte den Platz eingenommen. Doch die äußeren 
Umstände verschleierten das innere Leid.
Ergreifend offen gewährte Enkes Witwe Teresa einen Einblick in das 
engste Gefängnis, in dem ein Mensch stecken kann: der Depression. Wer
dieses Leiden je aus unmittelbarer Nähe erlebt hat, kann zumindest in
Ansätzen ermessen, welch unkontrollierter innerer Fraß da unentwegt 
tobt. Millionen Depressiver aller Schichten, aller Generationen 
quälen sich jeden Tag durchs Leben, voller Angst um Job, Ansehen, 
Zukunft.
Depression, das ist keine Verstimmung, sondern brutale 
Angstkrankheit, die den Alltag trotz Therapie und Mitgefühl oft zur 
Hölle macht. Die Ursachen sind so vielfältig wie die Ausprägungen. 
Aber immer herrscht die Angst. Robert Enke fürchtete nach einigen 
sportlichen Rückschlägen um seinen Platz im Tor der Nationalelf, er 
fürchtete, das Sorgerecht für die Adoptivtochter zu verlieren, er 
fürchtete eine grausame Öffentlichkeit, die ihren angemessenen Umgang
mit der Volkskrankheit Depression noch nicht gefunden hat. Sebastian 
Deisler, eines der größten Talente des deutschen Fußballs, macht in 
seiner Biografie derzeit öffentlich, worüber vielfach verzweifelt 
geschwiegen wird.
Früher war der Krebs die stigmatisierte Krankheit, die gleichsam als 
Strafe verstanden wurde. Lance Armstrong, Elke Heidenreich, Christoph
Schlingensief und viele andere haben den Kampf gegen den Krebs 
enttabuisiert. Die Depression dagegen eignet sich in einer Druck- und
Leistungsgesellschaft nicht zur Heroisierung. Ein offener Bruch wird 
akzeptiert, nicht aber ein tückisches seelisches Handicap, so 
unsichtbar wie unberechenbar. Profisport und Depression, nichts passt
weniger zusammen. Sieger kennen weder Angst noch Zweifel, so will es 
der Mythos vom stählernen Helden.
Enke folgte dieser Verdrängungslogik - er verschwieg seine Probleme. 
Denn er wollte sich und seine Nächsten schützen. Eine Depression wäre
als Schwäche ausgelegt worden und hätte ihm genommen, was lange Halt 
gab: das Training, die Mannschaft, das Spiel und am Ende sogar die 
Familie.
Wenn der Freitod Robert Enkes einen Sinn hat, dann ist es ein Appell:
Die Massenkrankheit Depression, die rapide um sich greift, muss 
herausgerissen werden aus der Schweigespirale, sie braucht 
Verständnis, einen neuen, sensiblen Umgang. Depressive haben Recht 
auf ein menschenwürdiges Leben. Die Krankheit ist grausam genug.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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