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Die Volatilität bleibt hoch
Kommentar zur Fragilität des aktuellen Börsen-Aufschwungs von Alex Wehnert

Frankfurt (ots)

Am Aktienmarkt scheint erst einmal Ruhe eingekehrt zu sein. Seit seinem am 18. März erreichten Jahrestief von 8.256 Punkten hat der Dax 27,9% zugelegt, auch im Verlauf der alten Börsenwoche verzeichnete er deutliche Gewinne. Indes hat sich der Volatilitätsindex VDax New nach seinem Rekordstand von 93,30 Prozentpunkten vom 16. März halbiert und verlief zuletzt deutlich flacher. Dennoch: Im Vergleich zum Jahr 2019, als die Volatilität nie die Marke von 23,95 Prozentpunkten überschritt, sind Stände des Angstbarometers von fast 47 immer noch extrem hoch - und so wird es auf absehbare Zeit auch bleiben.

Denn die Anleger reagieren im aktuellen Marktumfeld besonders stark auf Schlagzeilen und Spekulationen über politische Entscheidungen. Das wird selbst an Tagen mit guten Kursgewinnen deutlich: So legte der Dax am vergangenen Dienstag in der Spitze 5,1% zu, gab bis Handelsschluss aber fast die Hälfte seiner Gewinne wieder ab. Dabei drückte das Warten auf eine Einigung der Euro-Finanzminister über gemeinsame Coronahilfen im späten Handel ebenso auf die Stimmung wie das Gezerre um eine Einigung zwischen den USA, Russland und den Opec-Staaten im Ölpreisstreit.

Zugleich sorgten rückläufige Zahlen an Neuinfektionen in bisherigen Corona-Krisenherden zuletzt für Optimismus. Wie nachhaltig die Erholung sein wird, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab - und der bleibt extrem schwer abzuschätzen. So hat die makroökonomische Unsicherheit in der alten Börsenwoche laut der französischen Bank Natixis fast ein Allzeithoch erklommen. Der Uncertainty Index des Geldhauses für den Prognosezeitraum von einem Monat bewegt sich nahe dem Niveau von Ende 2008. Für längerfristige Prognosezeiträume hat er das Level aus der Zeit der Finanzkrise bereits überschritten - und gerade im Verlauf des jüngsten Crashs hat die Makro-Volatilität stark auf die Börsianer übergegriffen.

Neue Nachrichten über wirtschaftliche Folgeschäden der Pandemie dürften unter den Marktteilnehmern laut DZ Bank noch über mehrere Quartale hinweg für Aktionismus sorgen. Neben Liquiditätsengpässen, Kosteneinsparungen, Dividendenkürzungen und Insolvenzen könnten laut dem Finanzinstitut auch psychologische Faktoren auf Monate hinaus eine hohe Volatilität bedingen. Dazu zählten die Angst vor dem Jobverlust, negative Vermögenseffekte, die sich auf das Anlageverhalten auswirkten, und die Sorge vor einer Rückkehr der Pandemie. Selbst wenn im Kampf gegen die Seuche eine nachhaltige Wende absehbar ist, werden sich die Unternehmensgewinne nicht schlagartig erholen.

Während vergangener Rezessionen fielen die Gewinne laut Daten der DZ Bank im Mittel um 35%. Für die aktuelle Krise wäre das den Analysten zufolge aber eine sehr konservative Schätzung. "Realistischer erscheint ein kurzfristiger Taucher zwischen 50% und 80%", kommentieren sie. Demnach könnten die Unternehmen erst 2022 oder 2023 wieder so viel verdienen wie im bisherigen Rekordjahr 2018. Im Schlepptau der Gewinne würden dann die Aktienkurse folgen, der Dax werde sich seinem Rekordstand nahe 13.800 Punkten wohl erst Anfang 2024 nähern.

Bevor die Kurse sich aber in diese Richtung bewegen, sind in den kommenden Wochen noch einige kräftige Abstürze in Richtung der Tiefs aus dem März möglich. "Auch in der letzten großen Krise, der Finanzkrise, haben wir eine zweite Ausverkaufsrunde gesehen", sagt Achim Hammerschmitt, Leiter der Vermögensverwaltung der Fürstlich Castell'schen Bank. Die Aktienmärkte priesen aktuell eine eher V-förmige Erholung ein, was angesichts des zu erwartenden konjunkturellen Einbruchs aber zu optimistisch sei.

Für Anleger dürfte es auch in den kommenden Wochen darauf ankommen, sich nicht von eventuellen starken Kursausschlägen mitreißen zu lassen. Für geduldige Marktteilnehmer können sich laut dem Assetmanager Baillie Gifford Investitionen gerade in volatilen Vermögenswerten lohnen. "Wer die Volatilität senken will, muss dafür eine hohe Prämie zahlen", sagt Tom Wright, Portfoliomanager bei dem Vermögensverwalter. Er verweist auf Berechnungen des Analysehauses Pensions & Investment Research Consultants, das 100 in einer britischen Pensionskasse enthaltene Fonds untersucht hat. Diejenigen Fonds, die in den vergangenen zehn Jahren am stärksten schwankten, brachten demnach eine Rendite von 13,7% pro Jahr - diejenigen mit der geringsten Volatilität nur 9,7%.

(Börsen-Zeitung, 10.04.2020)

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