Laufzeitverlängerung: Bundesregierung gelingt Durchbruch nach vorgestern
Berlin (ots)
Deutsche Umwelthilfe kritisiert "Generalangriff auf energiepolitische Fortschritte des vergangenen Jahrzehnts" - Regierungsbeschluss bedeutet noch 30 bis 40 Jahre Atomenergie in Deutschland - Umgehung des Bundesrates, ungelöste Entsorgung des Atommülls und mangelnder Schutz der Reaktoren gegen Terroranschläge machen Laufzeitverlängerung verfassungswidrig - Regierung schafft nie dagewesene Investitionsunsicherheit im Energiesektor - Eintritt in das regenerative Zeitalter wird verzögert oder auf Dauer blockiert
Als einen "Generalangriff auf die energiepolitischen Fortschritte des vergangenen Jahrzehnts" in Deutschland hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) den Beschluss der Bundesregierung kritisiert, die Laufzeiten alternder Atomkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern. Um ein Wahlversprechen aus dem vergangenen Jahr an die vier Atomkraftwerksbetreiber RWE, E.on, EnBW und Vattenfall einzulösen, setze die Bundesregierung mutwillig die weltweite deutsche Marktführerschaft bei den erneuerbaren Energien aufs Spiel. "Es ist schwer, angesichts dieser Entscheidung nicht in Sarkasmus zu verfallen. Nach monatelangem Dilettieren setzt die Bundesregierung ein Ausrufezeichen in der Energiepolitik: Arm in Arm feiern Angela Merkel, Rainer Brüderle und Norbert Röttgen den energiepolitischen Durchbruch nach vorgestern", erklärt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Die Bundesregierung habe sich gar nicht mehr die Mühe gemacht, den Beschluss über die Laufzeitverlängerung mit dem Zubau der erneuerbaren Energien abzugleichen. Vielmehr liege er ziemlich genau in der Mitte der Zeitspanne von 10 bis 15 Jahren, die Bundeskanzlerin Angela Merkel den vier Atomkonzernen schon vor der Bundestagswahl im September 2009 versprochen hat. "Es ging der Bundesregierung nie um die Frage, wann die erneuerbaren Energien die Atomkraft in Deutschland vollständig ersetzen können. Denn dann würde der Zubau von Wind-, Sonnen- und Bioenergiekraftwerken bis 2020 und darüber hinaus sogar noch schneller verlaufen als bei der im geltenden Atomausstiegsgesetz vereinbarten Abschaltung der Atomkraftwerke", so der Leiter Politik und Presse der DUH, Gerd Rosenkranz.
Die Konsequenzen des Beschlusses reichten weit über die Tatsache hinaus, dass im Falle seiner Umsetzung 82 Millionen Menschen bis mindestens 2040 mit der Hochrisikotechnologie Atomkraft im eigenen Land leben müssten und in dieser Zeit jedes Jahr rund 400 Tonnen hochradioaktiver Atommüll hinzukomme, von dem bis heute niemand wisse, ob und wo er sicher gelagert werden kann. Darüber hinaus werde
- der von der Bundesregierung versprochene Eintritt in das
regenerative Zeitalter erschwert, verzögert und unter
Umständen unmöglich gemacht, weil für den Dauerbetrieb
konzipierte Atomkraftwerke den fluktuierend einspeisenden
erneuerbaren Energien auf Basis von Sonne und Wind nicht
nachfahren können. In der Folge wird die Diskussion über
den, Vorrang der erneuerbaren Energien nun mit dem Ziel
eröffnet, ihn abzuschaffen.
- die Planungs- und Investitionssicherheit, die sowohl der
gesetzlich fixierte Ausstiegsfahrplan als auch das
Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) für Jahrzehnte
sichergestellt hatten, mit einem Schlag durch eine
größtmögliche Unsicherheit für alle ersetzt, die in
Deutschland in Energieerzeugungsanlagen investieren wollen.
- die deutsche Exportwirtschaft ihres derzeit mit Abstand
größten Hoffnungsträgers beraubt, weshalb etwa auch der
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) die Pläne
der Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung kritisiert.
- die in der Vergangenheit von allen Parteien beklagte
Marktdominanz der großen Konzerne für weitere Jahrzehnte
zementiert, weshalb neue Energieanbieter und insbesondere
Stadtwerke Sturm laufen, die den Atomausstieg stets als
Chance, eigene Erzeugungskapazitäten aufbauen zu können,
verstanden haben.Eine Ungereimtheit liege sogar in der Verpflichtung der Konzerne, künftig stärker in erneuerbare Energien zu investieren. Rosenkranz: "Wieso stellt niemand die Frage, warum das eigentlich nötig ist: In Deutschland werden allein in diesem Jahr 15 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert - ganz ohne, dass die Bundesregierung irgendjemanden dazu hätte verpflichten müssen." Bei Fortsetzung des Atomausstiegs hätten die Konzerne nach Einschätzung der DUH ganz von allein versucht, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, um nicht weiter jedes Jahr ein Prozent Marktanteil im Strommarkt zu verlieren.
Die DUH ist optimistisch, dass die beschlossene Laufzeitverlängerung keinen Bestand haben wird. "Wenn diese fatale Politik zugunsten extremer Partikularinteressen von vier Konzernen nicht politisch über den Druck der Bevölkerung gestoppt wird, dann wird das vor Gericht geschehen", sagt die Leiterin Klimaschutz und Energiewende der DUH, Rechtsanwältin Cornelia Ziehm. Die Bundesregierung setze sich in bemerkenswerter Weise über die Verfassung und höchstrichterliche Rechtsprechung hinweg. Verfassungswidrig sei die geplante Gesetzänderung offensichtlich wegen der geplanten Umgehung des Bundesrats. Mit dem Grundgesetz unvereinbar sei die Laufzeitverlängerung aber auch wegen des mangelnden Schutzes der Reaktoren gegen Terroranschläge und wegen der fast ein halbes Jahrhundert nach dem kommerziellen Start der Atomenergie noch immer ungeklärten Entsorgungsfrage. "Die Bundesregierung kehrt mit ihrem Beschluss vom gestrigen Sonntag die ihr der Bevölkerung gegenüber obliegende Schutzpflicht um und schützt die Milliardengewinne der Atomindustrie", so Ziehm weiter.
Die DUH rief die Angeordneten der Koalition eindringlich auf, bei der nun bevorstehenden Gesetzgebung "sorgfältig die Vor- und die Nachteile, die sicherheitstechnischen und die juristischen Risken zu bedenken, bevor sie den Vorgaben ihrer offenbar vorfestgelegten Führung folgen."
Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin; Mobil: 0171 3649170, resch@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0160 94182496;
Tel.: 030 2400867-0, E-Mail: ziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin; Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-0,
E-Mail: rosenkranz@duh.de
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