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Business as usual: Nach Revisionsurteil fordert Agrarlobby härtere Strafen für Tierschützer, statt auf Kritik zu reagieren

Berlin (ots)

Am 22. Februar bestätigte das Oberlandesgericht Naumburg in dritter Instanz den Freispruch von drei Tierschützer/innen, die 2013 heimlich in der Schweinezucht und -mast Sandbeiendorf Videoaufnahmen vom Leid der Tiere angefertigt hatten. In seiner Begründung unterstrich der Vorsitzende Richter, der rechtfertigende Notstand habe angesichts untätiger staatlicher Kontrollorgane eindeutig vorgelegen. Auch er sah das Handeln der Angeklagten als vollauf gerechtfertigt an, um dem Rechtsgut Tierschutz zur Durchsetzung zu verhelfen. [1] Das Urteil hat große Wellen geschlagen und wird auch in der Agrar-Fachpresse ausgiebig besprochen. Vertreter der Tierindustrie sprechen dabei von "Selbstjustiz", "Skandal" und einer "Bankrotterklärung". Wie gewohnt werden die Tierschützer/innen angegriffen und eine strengere Strafverfolgung dieser gefordert, statt sich mit der Kritik an der Tierhaltung auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu suchen. Diese Strategie verstärkt einmal mehr die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Tierindustrie.

Alle drei Gerichte, die mit dem Fall bisher beschäftigt waren, stellten heraus, dass durch das Filmteam schwerste Missstände aufgedeckt wurden und dass die Untätigkeit der Veterinärbehörden das Handeln der Tierschützer/innen rechtfertigte. Das Urteil löste eine breite Debatte über mangelhafte Veterinärkontrollen in Deutschland aus. Auf die grundsätzliche Kritik an der Tierhaltung und dem systematischen Versagen des Tierschutzvollzugs reagiert die Agrarlobby jedoch überhaupt nicht. Ihr zentrales Anliegen ist vielmehr eine möglichst harte Bestrafung diejenigen, die solche Zustände aufdecken. Tierschützer sollen von künftiger Recherchetätigkeit abgeschreckt und so die Zahl der veröffentlichten Fälle von Tierschutzverstößen verringert werden, damit nicht die Zahl der Tierschutzverstöße selbst verringert werden muss.

Verstörende Reaktionen der Agrar-Fachpresse

Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband sieht das Hausrecht der Bauern als wichtiger an als den Tierschutz und fordert eine härtere Strafverfolgung: "Selbsternannte Tierschützer werden ermutigt, angebliche Vollzugsdefizite staatlicher Behörden für Straftaten zum Anlass zu nehmen. Die Rechte der Geschädigten, beispielsweise das Hausrecht, werden auf der Strecke bleiben." [2] Der Interessenverband Deutscher Schweinehalter (ISN) meint: "Aufgrund des neuerlichen Urteils war gestern ein trauriger Tag für den Tierschutz und für alle rechtschaffenden Landwirte." [3] Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, nennt das Urteil einen "Skandal" und eine "Bankrotterklärung": "Es ist ein Trugschluss, dass es bei diesem illegalen Eindringen in Ställe um den Tierschutz geht. Umso wichtiger ist es, dass die neue Bundesregierung dieses Thema gesetzgeberisch aufnimmt." [4]

Es ist kein Wunder, dass es die Forderung der Agrarlobby nach schärferer Strafverfolgung bis in den aktuellen Entwurf des Koalitionsvertrags geschafft hat - sind doch Agrarlobbyvertreter/innen auch im Bundestag zu finden. Im Koalitionsvertragsentwurf heißt es: "Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden." Die Überbringer/innen der schlechten Botschaft sollen kriminalisiert werden, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.

"Die eigentlichen Probleme sind das, was in tierindustriellen Anlagen wie in Sandbeiendorf tagtäglich stattfindet", erklärt Jürgen Foß, einer der Angeklagten von Naumburg. "Die Betreiber solcher Anlagen schaffen es tatsächlich, die sowieso bereits absurd niedrigen Minimalvorschriften nochmals zu unterbieten und die Tiere nochmals mehr leiden zu lassen. Und in diesem wie in anderen Fällen schauen Veterinärbehörden bewiesenermaßen unter vollem Wissen tatenlos zu. Das ist ein Totalversagen." Die Erfahrung von ARIWA aus mehr als zehn Jahren zeigt, dass auch nach detaillierten Anzeigen mit belegendem Filmmaterial und der Nennung von Zeug/innen die Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz (TierSchG) fast immer eingestellt werden. Zudem widerspricht aus Sicht von ARIWA auch die formal gesetzeskonforme Tiernutzung eindeutig dem in § 1 TierSchG formulierten Grundsatz, das Leben und Wohlbefinden der Tiere um ihrer selbst willen zu schützen.

"Wer sich mit der Branche auskennt, weiß, dass dieses Handeln System hat. Fast jeder tierhaltende Betrieb ließe sich wegen Verstößen gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung anzeigen", sagt Jürgen Foß und betont: "Solange diese Verdrängungsmentalität der Agrarbranche bleibt, wie sie ist, werden sich immer mehr Menschen von dieser tierfeindlichen Industrie abwenden, und so lange wird es auch immer Menschen geben, die diese Zustände aufdecken."

[1] http://ots.de/PgXZTr

[2] http://ots.de/Ae9oig

[3] http://ots.de/iGBcjG

[4] http://ots.de/3lWgbQ

Animal Rights Watch e.V. (ARIWA) ist eine gemeinnützige Tierrechtsorganisation. ARIWA deckt die Zustände in der Tierindustrie auf und fördert eine tierfreundliche, vegane Lebensweise. Bundesweite Bekanntheit erlangte ARIWA durch die Veröffentlichung von Recherchen in Bio-Betrieben und Schweinezuchtanlagen und durch die Ausrichtung des "Vegan Street Day" in Stuttgart und Dortmund. Zahlreiche politische TV-Magazine sowie viele Print- und Onlinemedien nutzen regelmäßig von ARIWA zur Verfügung gestelltes Bildmaterial.

Pressekontakt:


Sandra Franz, Tel.: 01577-6633353, E-Mail: presse@ariwa.org

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