Save the Children Deutschland e.V.
Neue IPC-Zahlen: Dramatische Hungerkrise im Gazastreifen dauert an
Berlin/Gaza (ots)
- Geschätzt 800.000 Kinder bis April 2026 von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen
- Nahrhafte und ausgewogene Lebensmittel sind kaum verfügbar
- Prekäre Lebensbedingungen erhöhen Gesundheitsrisiken für Kinder
Trotz der vor zwei Monaten getroffen Vereinbarung, mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu lassen, könnten in den kommenden Monaten vier von fünf Kindern in dem Küstenstreifen unter einer dramatischen Hungerkrise leiden. Laut den heute veröffentlichten Daten der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) steht zu befürchten, dass 1,6 Millionen Menschen - 77 Prozent der Bevölkerung und darunter etwa 800.000 Kinder - bis April 2026 weiterhin von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden. Save the Children warnt erneut eindringlich vor den langfristigen Folgen von Mangelernährung für Kinder.
Obwohl in den vergangenen Wochen begrenzte humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelassen wurde, erfolgen die Hilfslieferungen weiterhin unregelmäßig und liegen deutlich unter den Vereinbarungen im Rahmen der am 10. Oktober geschlossenen Waffenruhe.
Nach Angaben der IPC, der weltweit führenden Institution zur Bewertung von Ernährungssituationen, fehlt es bei den wenigen vorhandenen Lebensmitteln im Gazastreifen an der notwendigen Vielfalt. Milchprodukte, Eier, Fleisch, Fisch sowie frisches Obst und Gemüse sind auf den Märkten kaum verfügbar. Berichten zufolge gibt es vor allem Brot und verarbeitete Lebensmittel mit hohem Zucker- und Salzgehalt. Save the Children hat wiederholt vor den langfristigen Schäden von unausgewogener und unzureichender Ernährung für die körperliche und kognitive Entwicklung von Kindern gewarnt.
"Die neuen IPC-Zahlen zeigen, dass die Gefahr für Kinder im Gazastreifen auch mehr als zwei Monate nach der vereinbarten Waffenruhe nicht gebannt ist", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children Deutschland. "Der Hunger dauert an und wird, wenn nicht deutlich mehr Lebensmittel in den Gazastreifen gelassen werden, auch im kommenden Jahr den Alltag der Familien prägen. Vor allem für die Kinder bedeutet dies, dass sie zu wenig Nährstoffe bekommen, um sich gesund zu entwickeln. Die Folgen von Mangelernährung schaden nicht nur jedem einzelnen Kind, sie setzen den Kreislauf der Armut fort und gefährden den gesellschaftlichen Frieden. Es muss endlich mehr Hilfe in den Gazastreifen gelassen werden. Dafür braucht es den politischen Willen, eine ausreichende Finanzierung von humanitärer Hilfe und einen endgültigen Waffenstillstand."
Angesichts des beginnenden Winters im Gazastreifen wiegt der Hunger noch schwerer: Die Familien können noch nicht in ihre zerstörten Häuser zurückkehren, leben in einfachen Zelten oder haben gar keine Unterkunft. Die Kinder sind unter diesen Lebensbedingungen einem hohen Risiko von Durchfall, Hautkrankheiten, Atemwegsinfektionen und Unterkühlung ausgesetzt. Unterernährung verschärft diese Risiken, da sie die Fähigkeit der Kinder einschränkt, ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten und sich von Krankheiten zu erholen. In dieser Woche starb nach lokalen Angaben im Gazastreifen ein zwei Wochen altes Baby durch Erfrieren. In den vergangenen beiden Wintern starben mindestens 14 Kinder, darunter Neugeborene, an Unterkühlung.
Für Helfende ist es unter den vorherrschenden Bedingungen im Gazastreifen schwierig, alle Bedürftigen angemessen zu versorgen. Mitarbeitende von Save the Children in Ernährungszentren berichten, dass viele Patient*innen ihre Behandlungen wegen Mangelernährung abbrechen mussten, sobald sie erneut vertrieben wurden. Auch Ernährungszentren mussten aufgrund der Bombardierungen umziehen und verloren dadurch den Kontakt zu den Menschen.
Save the Children fordert einen endgültigen Waffenstillstand im Gazastreifen, ein Ende der israelischen Belagerung, die Öffnung aller Grenzübergänge sowie die Aufhebung der Beschränkungen von Hilfslieferungen. Save the Children leistet zusammen mit lokalen Partnern seit über 70 Jahren lebensrettende Hilfe für Kinder und Familien in den besetzten Palästinensischen Gebieten.
Im Gazastreifen untersucht Save the Children derzeit monatlich mehr als 14.000 Kinder in zehn Mutter-Kind-Zentren und in Kliniken für medizinische Grundversorgung. Zehn Prozent dieser Kinder werden im Schnitt zur Behandlung von Mangelernährung aufgenommen. In den vergangenen vier Monaten wurden monatlich durchschnittlich 1.335 schwangere und stillende Frauen untersucht. Etwa 1.400 Babys und über 400 Mütter erhalten derzeit eine Behandlung wegen Mangelernährung.
Hinweise für die Redaktion:
- Laut den Vorhersagen werden bis April 2026 insgesamt 1,6 Millionen Menschen von den IPC-Phasen 3-5 auf der fünfstufigen Skala betroffen sein: akute Hungerkrise (IPC 3), Hungernotlage (IPC 4) und Hungersnot (IPC 5)
- Die IPC-Angaben im Überblick finden Sie hier.
- Im August 2025 bestätigte das IPC eine Hungersnot in Teilen des Gazastreifens.
Über Save the Children
Im Nachkriegsjahr 1919 gründete die britische Sozialreformerin und Kinderrechtlerin Eglantyne Jebb Save the Children, um Kinder in Deutschland und Österreich vor dem Hungertod zu retten. Heute ist die inzwischen größte unabhängige Kinderrechtsorganisation der Welt in rund 120 Ländern tätig. Save the Children setzt sich ein für Kinder in Kriegen, Konflikten und Katastrophen. Für eine Welt, die die Rechte der Kinder achtet, in der alle Kinder gesund und sicher leben sowie frei und selbstbestimmt aufwachsen und lernen können - seit über 100 Jahren.
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