Pressemitteilung

Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vor

2011-03-08T12:08:16

Berlin (ots) -

Der Ethikrat stellt darin den Sachstand und die ausschlaggebenden Argumente von Befürwortern und Gegnern einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) umfassend dar.

Vor dem Hintergrund aktueller technischer und rechtlicher Entwicklungen beschreibt der Ethikrat die derzeitige Praxis und die neuen Möglichkeiten der genetischen Diagnostik an Embryonen. Er geht auf die unterschiedlichen Positionen und Argumente zum Status und Schutz des Embryos ein und diskutiert die wichtigsten sozialethischen Aspekte.

Ausgehend von diesen Überlegungen entwickeln die Ratsmitglieder zwei alternative Vorschläge zu einer gesetzlichen Regelung der PID.

Eine Gruppe von 13 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates hält die PID unter bestimmten Einschränkungen für ethisch gerechtfertigt, weil die PID einen Weg eröffnet, einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik gemäß medizinischer Indikation zu vermeiden, und auch Paaren eine Chance auf Hilfe bietet, die aus genetischen Gründen wiederholte Fehl- oder Totgeburten erlebt haben. In beiden Fällen sprechen gewichtige Gründe des Gesundheitsschutzes der Frau für die Zulassung der PID.

Voraussetzung für die Durchführung der PID ist ein hohes medizinisches Risiko. Dieses liegt vor,

   a) wenn bei den Eltern nachweislich eine erbliche Anlage vorhanden
      ist, die bei Vererbung auf das Kind zu einer schweren Krankheit
      oder Behinderung führen würde und im Falle ihrer Feststellung 
      durch pränatale Diagnostik wegen einer Gefährdung der 
      körperlichen oder seelischen Gesundheit der betreffenden Frau 
      Anlass für eine medizinische Indikation zum 
      Schwangerschaftsabbruch wäre,
   b) wenn bei den Eltern nachweislich ein hohes Risiko vorhanden 
      ist, eine Chromosomenstörung oder anderweitige Mutation zu 
      vererben, die eine extra-uterine Lebensfähigkeit des Embryos 
      ausschließt oder
   c) wenn bei den Eltern nach wiederholten Fehlgeburten oder 
      vergeblichen Behandlungsversuchen der assistierten Reproduktion
      nach eingehender medizinischer Abklärung ein hohes Risiko für 
      Reifungsstörungen der Keimzellen gegeben ist, sodass ein 
      Großteil der entstehenden Embryonen extra-uterin nicht 
      lebensfähig ist.

Unzulässig und gesetzlich zu verbieten ist die Durchführung der PID nach Ansicht dieser Ratsmitglieder hingegen

   a) zur Feststellung des Geschlechts eines Embryos, es sei denn, 
      diese hat das Ziel, die Geburt eines Kindes mit einer 
      folgenschweren, geschlechtsgebunden vererbten genetischen 
      Anomalie zu vermeiden,
   b) wenn sie mit dem Ziel der Auswahl eines Embryos für die Spende 
      von Zellen, Geweben, oder Organen für einen anderen Menschen 
      erfolgen soll,
   c) wenn sie ohne eine der oben angeführten Indikationen etwa zur 
      Vermeidung eines allein wegen des Alters der Frau vermuteten 
      Risikos von Chromosomenstörungen beim Embryo erfolgen soll und
   d) bei spätmanifestierenden Krankheiten.

Die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID empfehlen, dass der Gesetzgeber diese Kriterien festlegt, jedoch keinen Katalog einzelner Krankheiten oder Behinderungen aufstellt, bei denen eine PID infrage kommt.

Sie schlagen außerdem bundeseinheitlich festzulegende Verfahrensregeln für die Durchführung der PID vor. Die Indikationsstellung soll nach Feststellung des genetischen Risikos und Beratung durch einen Humangenetiker, nach ärztlicher Beratung durch einen Reproduktionsmediziner und nach psychosozialer Beratung durch eine nach Schwangerschaftskonfliktgesetz anerkannte Beratungsstelle gemeinsam durch die an der Beratung beteiligten Experten sowie einen Vertreter der IVF-Kommission der Landesärztekammer erfolgen.

Die Befürworter dieses Konzepts wollen mit der begrenzten Zulassung der PID einen Wertungswiderspruch zum bestehenden gesetzlichen Schutzkonzept während der Schwangerschaft vermeiden.

Eine Gruppe von elf Mitgliedern des Ethikrates vertritt die Auffassung, dass die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik ethisch nicht gerechtfertigt ist und verboten werden sollte,

   - weil der in vitro gezeugte Embryo aufgrund seiner künstlichen 
     Erzeugung einer besonderen Verantwortung unterliegt, die es 
     verbietet, ihn zu erzeugen, um ihn im Falle unerwünschter 
     Eigenschaften zu verwerfen,
   - weil der selektive Blick auf die durch gezieltes menschliches 
     Handeln erzeugten Embryonen und die Bereitschaft zu ihrer 
     eventuellen Verwerfung die PID grundlegend von der Situation des
     Schwangerschaftsabbruchs aufgrund medizinischer Indikation nach 
     Pränataldiagnostik unterscheidet,
   - weil mit der PID eine embryopathische Indikation wieder 
     eingeführt würde, also die Erlaubnis, menschliches Leben 
     aufgrund unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen, die aus der 
     Schwangerschaftskonfliktregelung ausdrücklich gestrichen wurde,
   - weil gravierende Folgen für den Embryonenschutz absehbar sind, 
     insbesondere indem eine hohe Anzahl von "überzähligen" Embryonen
     entstehen würde, von denen niemand weiß, wie mit ihnen umzugehen
     wäre,
   - weil eine Begrenzung auf wenige Fallgruppen oder schwere 
     Erkrankungen nicht einzuhalten ist, vielmehr eine Ausweitung der
     Indikationen und Anlässe für die Anwendung der PID absehbar ist,
     wie dies auch in anderen Staaten, die die PID zugelassen haben, 
     bereits erfolgt ist,
   - weil die technische Entwicklung chipgestützter Diagnosetechniken
     einen breiteren Einsatz der PID für die gleichzeitige Diagnostik
     einer Vielzahl von genetischen Abweichungen oder 
     Krankheitsveranlagungen in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht,
   - weil sich der Druck auf genetisch belastete Eltern, die sich 
     keiner PID unterziehen wollen, und auf Menschen mit Behinderung,
     insbesondere mit genetisch bedingten Behinderungen, erhöhen 
     könnte und dies Bemühungen um Integration und Inklusion 
     zuwiderlaufen würde.

Nach Auffassung der Unterzeichner dieses Votums müssen die Sorgen und Wünsche von genetisch belasteten Paaren ernst genommen werden. Eine Einführung der PID rechtfertigen sie aber nicht. Vielmehr ist eine bessere Beratung und Unterstützung betroffener Paare oder Familien sicherzustellen; ebenso ist zu prüfen, ob ihre Belastung durch den Einsatz anderer Verfahren gemildert werden kann.

In einem Sondervotum spricht sich ein Ratsmitglied dafür aus, die PID zur Identifikation von entwicklungsfähigen Embryonen zu erlauben und dafür eine verbindliche Indikationsliste zu erstellen.

Die Stellungnahme ist unter http://www.ethikrat.org abrufbar.

Pressekontakt:

Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutscher Ethikrat
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel.: +49 (0)30 203 70-246
Fax: +49 (0)30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
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Weiterführende Informationen

http://www.ethikrat.org


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