Am Scheideweg
Kommentar von Friedrich Roeingh zum Streit zwischen Polen und der EU
Mainz (ots)
Eines hat der Auftritt des polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki diese Woche vor dem EU-Parlament klargemacht: Polen ist unter der PiS-Regierung kein ungezogenes Kind, dem man weiter Zeit geben muss, bis es zur Vernunft kommt. Die aktuelle polnische Führung ist nicht nur längst dabei, im eigenen Land die Pfeiler des Rechtsstaats wegzuschlagen. Sie will die EU zu einem losen Verbund nationaler Staaten umschreiben. Wer jetzt noch auf Zeit spielt, gibt den Orbans in Ungarn und anderen Möchtegern-Autokraten nur Gelegenheit, ihrerseits weiter die Axt an die gemeinsamen Grundwerte der EU anzulegen. Die Erzählung, EU-Recht habe hinter nationales Recht zurückzutreten, darf nicht so lange im Umlauf sein, bis die Nationalisten damit die nächsten Wahlen gewinnen. Es reicht auch nicht mehr, EU-Zahlungen zu versagen. Es ist längst an der Zeit, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wiederzubeleben - besser: es tatsächlich aufs Gleis zu setzen. Nur die Bildung eines Kerneuropas wird es ermöglichen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, die Einstimmigkeit aufzuheben, das EU-Parlament zu stärken und eine neue geostrategische Rolle gegenüber den geschwächten USA und dem übermächtigen China einzunehmen. Kerneuropa braucht diese neue Schlagkraft auch, um den demokratiezersetzenden digitalen Netzwerken so schnell wie möglich einen eigenen Ordnungsrahmen entgegenzustellen. Die alte EU kann dann zu einem loseren Bund angegliederter Staaten rückgebaut werden, deren Mitglieder weiterhin am freien Austausch von Waren und Dienstleistungen teilnehmen. An nicht weniger, aber auch nicht an mehr.
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