Das, was der ÖGB erfolgreich macht, wird derzeit kaum
wahrgenommen
Wien (ots) - Der SPÖ-Vorsitzende hat also durchgesetzt, dass der
einzige Spitzengewerkschafter, der dem nächsten Nationalrat
angehören wird, ein ÖVP-Mitglied sein wird. Mancher konservative
Politiker dürfte sich über diese Verlagerung der wahrgenommenen
Sozialkompetenz freuen. Manche Christgewerkschafter können sich die
Häme über das Scheitern derer, die in der Diktion der schwarzen
Minderheitsfraktion im ÖGB immer noch einfach "Sozialisten" sind,
nicht verkneifen.
Der Gewerkschaftsbewegung allerdings schadet das alles massiv.
Denn was von den Aus-_einandersetzungen der letzten Tage vermittelt
wurde, ist schlicht, dass im ÖGB nach all den Problemen mit der Bawag
nur mehr gestritten würde. Sozialdemokratische Spitzengewerkschafter
haben öffentlich Zweifel an der Kompetenz des jeweils anderen
geäußert und haben nun auch noch das Vertrauen der eigenen Partei
eingebüßt: Statt dass verständlich gemacht würde, wie wichtig die
Vertretung von Arbeitnehmerinteressen in der Gesetzgebung ist,
entsteht auch noch der vom politischen Gegner kräftig geschürte
Eindruck, dass sich ein paar Spitzengewerkschafter an gut bezahlte
Abgeordnetenposten zu klammern versuchen. Die SPÖ-Spitze nimmt das
womöglich auch noch billigend in Kauf, denn dann wirkt sie selbst
sauberer.
Für die Gewerkschaftsmitglieder "draußen in den Betrieben" ist das
alles längst unverständlich geworden. Noch weniger Verständnis werden
jene aufbringen, die gar nicht erst Mitglied geworden sind, weil es
für sie derzeit eigentlich keine funktionierende Vertretung gibt.
Dieses Unverständnis lässt sich an der Tatsache ablesen, dass die
Zahl der Beschäftigten langsam aber sicher wächst, die Zahl der
Gewerkschaftsmitglieder aber - krisenbedingt sogar beschleunigt -
sinkt. Und da ist noch nicht eingerechnet, dass ein beachtlicher Teil
des Beschäftigungszuwachses jenseits von betrieblichen Strukturen
erfolgt. Schließlich gehen viele meist junge Leute in ziemlich
abenteuerlichen Werkvertragskonstruktionen einem Broterwerb nach. Und
dieser Broterwerb gilt für den Gesetzgeber und leider auch für weite
Teile des gewerkschaftlichen Estabnlishments als eine
unternehmerische Tätigkeit, bei der eben arbeitsrechtlicher Schutz
gar nicht, sozialrechtlicher Schutz nur eingeschränkt gegeben ist.
Dabei gibt es durchaus vernünftige Ansätze des ÖGB, diese "atypisch
Beschäftigten"_zu erreichen. Und es läuft auch seit Monaten eine
Initiative, in kleinen und mittelständischen Unternehmen Betriebsräte
einzurichten, damit die Beschäftigten dort eine Vertretung,
vielleicht sogar eine gewerkschaftliche Anlaufstelle haben.
Aber das erreicht die Betroffenen kaum:_Wer nicht eingefleischter
Gewerkschafter ist, schreckt derzeit schon allein bei der Erwähnung
des ÖGB zurück - da hilft auch wenig, dass die Gewerkschaften auch
nach Bekanntwerden der Bawag-Krise durchaus respekta-ble
Lohnabschlüsse zustande gebracht haben. Der Wert gewerkschaftlichen
Engagements wird öffentlich derzeit nicht wahrgenommen.
Das stärkt die Unternehmer: Sie sehen sich einer immer schlechter
organisierten Arbeitnehmerschaft gegenüber, die offensichtlich andere
Sorgen hat als sozialen Fortschritt. Bei Kollektivvertragsrunden
wird man das spüren.
Erst recht wird es auffallen, wenn in der nächsten Legislaturperiode
tatsächlich eine Reform des Arbeitsrechts angegangen wird: Da werden
im Hohen Haus die Menschen abgehen, die Erfahrung in der Vertretung
von Arbeitnehmerinteressen haben.
Der Arbeitnehmerflügel der ÖVP, der ÖAAB, versucht bereits, sich den
sozialpolitischen Vertretungsanspruch an die Fahnen zu heften. Sein
Chef Fritz Neugebauer ist unbestritten ein gestandener
Gewerkschafter, aber als Beamter auch nicht gerade die Verkörperung
der modernen Arbeitswelt. Eine eindeutige Anlaufadresse für die
Menschen mit ihren Nöten in der modernen Arbeitswelt ist immer
schwieriger zu finden.
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