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Experten beleuchten die Rolle des Opfers im Ermittlungs- und Strafverfahren

Experten beleuchten die Rolle des Opfers im Ermittlungs- und Strafverfahren
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Mainz (ots)

Einen breiten Diskurs bot das Expertengespräch zur Rolle des Opfers im Ermittlungs- und Strafverfahren. Die WEISSE RING-Stiftung hatte hochrangige Kapazitäten dazu eingeladen, das Thema aus ihrer fachlichen Perspektive zu beleuchten und daraus Eckpunkte für ein Forschungsprojekt zu entwickeln. Roswitha Müller-Piepenkötter, Bundesvorsitzende des Vereins und Vorsitzende des Kuratoriums WEISSER RING-Stiftung, moderierte die Diskussion. Sie verwies darauf, dass sich im Bericht des NSU-Untersuchungsausschusse sehr eindringliche Schilderungen von Opfern über das Leid, das die jahrelangen Ermittlungsverfahren mit sich brachten. Diese Probleme waren für die WEISSE RING-Stiftung Anlass, das Thema Belastungen von Kriminalitätsopfern in Ermittlungs- und Strafverfahren grundlegend untersuchen zu lassen.

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes stellte fest: "Eine gezielte Aufklärung der Bevölkerung über die Erscheinungsformen von Kriminalität und über die Praktiken von Straftätern gehört ebenso zu den Aufgaben der Polizei, wie eine fortlaufende Sensibilisierung zu einem umsichtigen und Risiken minimierenden Verhalten. Die Polizei allein kann diese Aufgabe allerdings nicht leisten. Hier müssen wir vielmehr gesamtgesellschaftlich agieren und mit allen Akteuren an einem Strang ziehen um dort wirken zu können, wo es erforderlich ist - vor Ort! Denn nur so können wir Menschen davor bewahren, überhaupt erst zu Opfern von Straftaten zu werden."

Harald Range, Generalbundesanwalt, erklärte: "Wir sehen, dass das allein tat- und täterbezogene Schuldstrafrecht dann seinen Zwecken nicht gerecht wird, wenn es den Schutz von Verletzten vernachlässigt und damit der staatlichen Verantwortlichkeit für Opfer von Straftaten als soziale Aufgabe und Gebot der Gerechtigkeit nicht mehr ausreichend Rechnung trägt. Es birgt die Gefahr in sich, dass das Opfer in Ermittlungs- und Strafverfahren, die allein auf die Ergreifung und Aburteilung des Täters gerichtet sind, als Zeuge instrumentalisiert wird, ohne dass in ausreichender Weise auf seine seelische und soziale Krisensituation Rücksicht genommen wird. Hierdurch kann die Anzeige- und Zeugnisbereitschaft eines Opfers nachhaltig beeinflusst werden mit der Folge, dass ein großes Dunkelfeld nicht angezeigter, damit nicht bekannt gewordener, folglich nicht verfolgter Kriminalität entsteht. Kriminologische Forschungserkenntnisse zeigen, dass Opfer bewusst oder unbewusst vor der Anzeige in der Regel eine 'Kosten-Nutzen-Analyse' vornehmen: Erst wenn es sich aus Opfersicht "lohnt", zusätzlich zu der Primärviktimisierung entstehende Belastungen des Ermittlungs- und Strafverfahrens auf sich zu nehmen, werden die Straftaten den Strafverfolgungsbehörden gemeldet."

Angelika Vöth, Opferanwältin, sagte: "Opfer und insbesondere Opfer als Zeugen sind in einem Strafprozess vielfachen schweren Belastungen in einem ihnen unbekannten Verfahren ausgesetzt. Sie verdienen daher einen respektvollen und sensiblen Umgang. In der Praxis gibt es jedoch viele Probleme: einige unzureichende gesetzliche Vorschriften, die manchmal mangelhafte Umsetzung bestehender Gesetze, fehlende Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Opfer und strukturelle Defizite beim Opferschutz in Strafverfahren."

Prof. Dr. phil. Renate Volbert, Psychologin an der Charité Berlin, erläuterte: "Belastungen entstehen für Geschädigte in besonderer Weise in Verfahren, in denen Aussage gegen Aussage steht und keine anderen Beweismittel existieren, da in diesen Fällen eine ausführliche Darstellung des Delikts erfolgen muss und sich die Prozessbeteiligten besonders kritisch mit der belastenden Aussage beschäftigen. Eine solche Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist besonders häufig bei Sexualdelikten gegeben. Da in einem rechtsstaatlichen Verfahren aber gründlich und kritisch geprüft werden muss, ob eine vorgeworfene Straftat nachzuweisen ist, handelt es sich hierbei letztlich um verfahrensimmanente Belastungen, die auch durch Reformmaßnahmen nicht grundsätzlich vermieden werden können. Die Bereitschaft von Geschädigten, eine solche Belastung vorübergehend auf sich zu nehmen, ist vermutlich dann am ehesten zu wecken, wenn andererseits Bemühungen erkennbar sind, potentiell vermeidbare Belastungen tatsächlich zu vermeiden. In welchem Ausmaß bisherige Reformmaßnahmen zum Opferschutz tatsächlich zu Entlastungen für Geschädigte geführt haben, lässt sich wegen weitgehend fehlenden Evaluationen nicht abschließend beurteilen."

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Dipl.-Psychologin, Psychotherapeutin, FU Berlin: "Gerichtsverfahren sind für Opfer emotional hochbelastend. Ob sie allerdings langfristig zu emotionalen Beeinträchtigungen führen, hängt neben der vorbestehenden Verwundbarkeit unmittelbar mit den Interaktionserfahrungen zusammen, die die Betroffenen vor Gericht machen. Wenngleich die Befunde zu den einzelnen Variablen widersprüchlich sind, zeigt sich vor allem das Bedürfnis, Kontrolle über die Situation zu erlangen, gehört zu werden, Gerechtigkeit zu finden, Abschluss finden, öffentliche Anerkennung für das zugefügte Leid, Rache, Hoffnung auf Entschuldigung (durch den Täter) als relevante Aspekte, die Berücksichtigung finden sollten."

Moderatorin Müller-Piepenkötter kam zu dem Schluss, dass der WEISSE RING mit dem Expertengespräch und dem folgenden Forschungsprojekt einmal mehr seine Rolle als Lobbyorganisation der Kriminalitätsopfer gerecht wird. Schon oft hat der WEISSE RING Forschungsprojekte unterstützt, deren Ergebnisse später in die Verbesserung der Rechte von Opfern einflossen. So wurde die Stalking-Gesetzgebung nur deshalb möglich, weil der WEISSE RING Forschungen in Mannheim und Heidelberg unterstützte.

Pressekontakt:

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Verantwortliche: Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin
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