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"Panorama": Krankenkassen sortieren Kundendaten - welcher Patient ist profitabel? Experten kritisieren "perverses System"

Hamburg (ots)

"Nur ein kranker Versicherter ist im neuen System
ein guter Versicherter", sagt Dr. Christoph Straub von der Techniker 
Krankenkasse im Interview mit dem ARD-Magazin "Panorama". Auch seinem
Kollegen von der Audi Betriebskrankenkasse, Uwe Seybold, widerstrebt,
was nach der Gesundheitsreform Wirklichkeit werden soll: "Als Mensch 
finde ich das System pervers. Die Anreize sind völlig falsch. 
Wirtschaftliches Ziel ist es, den Kunden krank zu behalten." Das hat 
laut Dr. Hans Unterhuber von der Siemens-Betriebskrankenkasse massive
Auswirkungen nicht nur auf die Behandlung von Krankheiten, sondern 
auch auf Vorsorge- und Gesundheitsförderprogramm: Es sei fraglich, ob
diese in Zukunft betriebswirtschaftlich noch zu verantworten seien.
Hintergrund dieser Befürchtungen ist ein neues Abrechnungssystem 
für die Kassen, das mit der neuen Gesundheitsreform am 1. Januar 2009
eingeführt wird. Die Beiträge der gesetzlich Versicherten gehen dann 
nicht mehr direkt an die Kassen, sondern an den neu einzurichtenden 
Gesundheitsfonds. Dieser verteilt nur einen Teil davon automatisch an
die Krankenkassen, der Rest wird nach den Regeln des so genannten 
"morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs" (Morbi-RSA) 
vergeben.
Dafür müssen die Kassen Versicherte mit bestimmten Krankheiten 
nachweisen. Auf einer Liste sind 80 Krankheitsgruppen festgelegt, die
zur Inanspruchnahme des Morbi-RSA berechtigen.
Schon heute werden deshalb nach "Panorama"-Recherchen (Sendung: 
Donnerstag, 7. August, 21.45 Uhr im Ersten) in den Kassen riesige 
Datensammlungen angelegt mit dem Ziel, möglichst viele 
Krankheitsanzeichen der einzelnen Versicherten aufzuspüren und damit 
Morbi-RSA-fähige Krankheiten gegenüber dem Gesundheitsfonds 
nachzuweisen. "So werden Millionen von Versichertendaten - auch von 
uns, das gebe ich ehrlich zu - durchanalysiert. Es wird geguckt, 
könnte er [der Patient] einen Zuschlag bekommen, wenn man an kleinen 
Schrauben dreht", sagt Prof. Jörg Saatkamp, Vorsitzender des 
Bayerischen Landesverbandes der Betriebskrankenkassen.
Besonders kritisch sehen die Chefs der Krankenkassen, dass auch 
für Wohlstandskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes Geld aus dem
Fonds ausgeschüttet wird. Denn gerade diese Krankheiten ließen sich 
gut präventiv behandeln und durch Gesundheitsförderprogramme lindern.
Die Fehlanreize könnten nun dazu führen, dass es sehr viel mehr 
Diabetes- und Bluthochdruck-Patienten geben wird. "Die Ärzte werden 
in Zukunft Checklisten haben an Diagnosen, die man leicht bei vielen 
finden kann, die aus dem Morbi-RSA Geld generieren. Da wird in jeder 
Arztpraxis gescannt werden. Das ist aus meiner Sicht pervers", so 
Prof. Jörg Saatkamp.
Das Gesundheitsministerium hat das Bundesversicherungsamt mit der 
Ausführung des neuen Abrechnungssystems beauftragt. Der Präsident der
Behörde, Josef Hecken, hält die Vorwürfe der Krankenkassen-Chefs für 
übertrieben. Er gehe nicht davon aus, "dass das, was theoretisch an 
der einen oder anderen Stelle für den einen oder anderen im 
Einzelfall reizvoll erscheinen würde, zu einem Massenphänomen wird". 
Die Kassen würden das finanzielle Risiko einer Umsteuerung 
wahrscheinlich nicht eingehen, weil sie bei den Zahlungen in 
Vorleistung gehen müssen, so Josef Hecken.
7. August 2008

Pressekontakt:

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