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Neue Westfälische (Bielefeld)

Neue Westfälische: Neue Westfälische, Bielefeld: KOMMENTAR Kultur des Rücktritts Eine Frage der Verhältnismäßigkeit CARSTEN HEIL

Bielefeld (ots)

Ein Rücktritt ist schneller gefordert als getan.
Er ist niemals freiwillig. Immer geht diesem Schritt ein Skandal, ein
Versagen, eine große Aufregung, eine Niederlage voraus. Manchmal ist 
es auch ein persönlicher Schicksalsschlag wie im Falle von Franz 
Müntefering. Kurz: Die Umstände sind meist negativ. Manch Betroffener
macht sich noch im Rücktritt zusätzlich lächerlich. Wenn er sich an 
seinen Posten klammert und meint, ohne sein Amt gar nicht mehr leben 
zu können.
In dieser Woche hat Margot Käßmann gezeigt, dass es auch anders geht.
Mit großer Klarheit, mit Mut und Gradlinigkeit hat sie die 
Konsequenzen aus ihrer Alkoholfahrt und den damit verbundenen 
Umständen gezogen. Sie hat in diesem Alptraum damit nicht an ihrem 
Amt, sondern an ihrer persönlichen Linie festgehalten. Vielleicht hat
sie damit in Deutschland eine Kultur der Verantwortung und des 
Rücktritts begründet.
Sie hatte es allerdings ein bisschen leichter als andere. Die große 
Mehrheit der Bevölkerung und ihre eigenen Gremien wollten sie als 
Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende halten. Dieser Luxus ist 
anderen Zurücktretern nicht vergönnt. Sie werden meist getrieben, 
manche sogar gehetzt. Besonders bitter ist es in der Politik, wenn 
die eigenen Parteifreunde die Messer wetzen und zum Rücktritt 
drängen, weil sie selbst an die einflussreichen Positionen wollen.
Ein Schritt allerdings wie der von Margot Käßmann - mit immerhin 
einem Stück Freiwilligkeit - ist in der Politik äußerst selten. 
Rudolf Seiters hat ihn 1993 als Innenminister getan. Er hat für den 
misslungenen Anti-Terror-Zugriff im Bahnhof von Bad Kleinen die 
Verantwortung übernommen, obwohl er persönlich kaum unter Druck 
stand. Er handelte honorig - und schöpfte daraus die Chance zu neuen 
Höhen. Später wurde er Vizepräsident des Deutschen Bundestages, heute
ist er Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Wer aber in Schimpf und
Schande aus dem Amt gejagt wurde, werden musste, dem ist solch eine 
Rückkehr verschlossen.
Andere Politiker stellten sich in der persönlichen Krise zwar vor die
Öffentlichkeit und übernahmen vollmundig die Verantwortung. Sie 
wollten diesem Bekenntnis aber keine Taten folgen lassen. Jüngstes 
Beispiel: Verteidigungsminister Franz-Josef Jung in der Debatte um 
zivile Opfer im Afghanistan-Krieg. Ein erbärmliches Schauspiel über 
Tage. Von dieser Art gibt es zahllose Beispiele. Keine Einsicht.
Zu einer Art Rücktrittskultur gehört aber auch die Debatte um die 
Gründe für den Rücktritt. Wann und warum muss jemand von seinem Amt 
zurücktreten? Manchmal entsteht der Eindruck, dass der Betroffene aus
rein politischen Gründen, nicht wegen der Schwere des Vergehens dazu 
gezwungen wird. Nicht jede Kleinigkeit darf gleich die Höchststrafe 
nach sich ziehen. Die Verhältnismäßigkeit ist ein wichtiges 
Kriterium. Denn es geht immer um ein persönliches Schicksal. Das ist 
jedoch schwer zu entscheiden. Oft entsteht in solch einer Situation 
ein Furor.

Pressekontakt:

Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de

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