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Landeszeitung Lüneburg: Wandert die Macht, entsteht Hitze
Prof. Dr. Patrick Köllner: Inselstreit ist geeignet, die Konfrontation im ostchinesischen Meer anzuheizen

Lüneburg (ots)

China legt die Hand auf Inseln, die unter der Kontrolle Japans stehen. US-Bomber, die Atombomben tragen könnten, ignorierten die von Peking ausgerufene Flugkontrollzone demonstrativ. Das Muskelspiel der drei größten Volkswirtschaften im ostchinesischen Meer hält die Welt in Atem. Wie gefährlich ist der Streit um die Inseln, die in China Diaoyu und in Japan Senkaku genannt werden? Prof. Dr. Patrick Köllner, Direktor des GIGA Institut für Asien-Studien in Hamburg: "Die Inseln sind von großem strategischen Wert. Sie erhöhen das Konfliktpotenzial in der derzeitigen tektonischen Machtverschiebung."

Ist das strategische Konzept Deng Xiaopings Vergangenheit, "Zurückhaltung zu üben, aber eine angemessene Rolle zu spielen"?

Prof. Dr. Patrick Köllner: Ja, diesen Eindruck muss man bereits seit einigen Jahren haben. Und die jüngste Eskalation im Inselstreit scheint dieser Interpretation noch mal Auftrieb zu geben. China hält zwar an einer Strategie friedlicher Entwicklung fest, ist jedoch mit Blick auf seine Kerninteressen zu keinen Konzessionen bereit.

Ist nach dem jüngsten Führungswechsel in Peking ein neuer außen- und sicherheitspolitischer Leitsatz formuliert worden?

Prof. Köllner: Ein neuer Leitsatz ist nicht formuliert worden. Wir wissen aber, dass in der chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik eine ganze Menge Akteure mitwirken. Im Zuge ihrer Machtkonsolidierung sieht sich die neue politische Führung mit Forderungen patriotischer Gruppierungen und global agierender chinesischer Wirtschatsakteure konfrontiert, die für eine Modifizierung der außenpolitischen Strategie der Volksrepublik plädieren. Das ist ein schwieriger Balanceakt.

Wie groß ist der Einfluss nationalistischer Scharfmacher in Tokio und Peking?

Prof. Köllner: Es hilft nicht, dass in beiden Hauptstädten auch in Folge der Regierungswechsel in der jüngsten Vergangenheit verstärkt nationalistische Töne angeschlagen werden. Das gießt Öl in die Flammen.

Mit wie viel chinesischer Härte muss die Welt in der Taiwan-Frage rechnen, wenn Peking schon bei den Diaoyu-Inseln so auftrumpft?

Prof. Köllner: Das ist in der Tat die große Frage, vor die wir angesichts des Tauziehens um die umstrittenen Inseln gestellt werden. Gerade auf Taiwan, das unter dem Damoklesschwert der möglichen Rückgliederung lebt, wird aufmerksam registriert, dass die Volksrepublik China nicht nur zunehmend selbstbewusst agiert, sondern sogar ziemlich forsch.

Sollen die Inseln ein Baustein einer chinesischen Mauer auf dem Meer werden, der den USA den Zugriff auf Chinas Küstengewässer verwehrt?

Prof. Köllner: In dieser Frage kommt es entscheidend auf das Auge des Betrachters an. Tatsächlich ist es so, dass China weitreichende, territoriale Ansprüche bis ins südchinesische Meer stellt. Aus chinesischer Sicht sind diese Ansprüche allerdings legitim. Weitergehend beklagt man in Peking sogar, von Washington eingedämmt zu werden. Das heißt, durch die Präsenz amerikanischer Streitkräfte in der Region sieht Peking seine aus eigener Sicht angemessenen Ansprüche in Frage gestellt.

Fühlt sich Peking durch Washingtons Hinwendung zum Pazifik bedrängt?

Prof. Köllner: Diese strategische Neuausrichtung Washingtons trägt zu Pekings Gefühl der Einschnürung bei. Auch, weil es ja nicht bloß um die Präsenz von US-Einheiten geht, sondern ebenso um die vielfältigen Allianzen, die das Weiße Haus in der Region geknüpft hat. Die USA fungieren als Schutzmacht für  Taiwan und Japan und haben Militärbündnisse mit Australien und Südkorea abgeschlossen. In Peking wird der Vorwurf erhoben, dass die USA die Region durch eine anti-chinesische Polarisierung destabilisieren. Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass Staatspräsident Xi Jinping bei seiner ersten Auslandsreise versucht hat, die strategische Partnerschaft mit Russland zu intensivieren.

Verfolgt das chinesische Militär, das von der Partei kontrolliert wird, eine eigene Agenda eventuell sogar gegen die Regierung?

Prof. Köllner: Das ist angesichts der Vielzahl von außenpolitischen Akteuren in China Spekulation. So konkurrieren etwa Beratergruppen, die dem Handelsministerium oder im Ausland tätigen chinesischen Banken zuzuordnen sind, mit dem Außenministerium - und natürlich auch das Militär. Die Entscheidungsprozesse sind von außen nicht zu durchschauen.

Was ist denn wichtiger für Peking: der historisch begründete Anspruch auf die Inseln oder der Fisch- und Rohstoffreichtum um sie herum? Prof. Köllner: Der historische Anspruch soll nur den Zugriff auf das legitimieren, was dort strategisch relevant ist. Und das sind die Vorkommen fossiler Brennstoffe im Meeresboden vor den Inseln und die üppigen Fischbestände. Im Endeffekt würde eine derartige territoriale Erweiterung die Ausdehnung der exklusiv von China wirtschaftlich zu nutzenden 200-Seemeilen-Zone bedeuten. Insofern haben die kargen Felsen einen großen Wert.

Soll außenpolitisches Auftrumpfen innenpolitisch Legitimität erzeugen?

Prof. Köllner: Das dürfte Teil der Motivation der Führung in Peking sein. Allerdings führt sie da ein zweischneidiges Schwert. Wir haben schon mehrfach gesehen, wie schwer die einmal so ausgelösten Dynamiken zu kontrollieren sind. Zudem versucht China in einer Phase, in der Japan relativ schwächelt, herauszufinden, wie weit man gehen kann. Das gilt auch gegenüber den USA, die in jüngerer Zeit durch Irak- und Afghanistan-Krieg sowie die Finanz- und Wirtschaftskrise geschwächt wurden. Und schließlich beinhaltet dieser Inselstreit für Peking die Chance, einen Keil zwischen die Allianzpartner USA, Japan und Südkorea zu treiben.

Hat sie das robuste Vorgehen Pekings überrascht angesichts der Schwierigkeiten, die Sicherheitsorgane in der jüngsten Vergangenheit hatten, anti-japanische Demonstrationen zu kontrollieren?

Prof. Köllner: Mit Blick auf das, was wir seit 2010 beobachten, überrascht es nicht. Der Ausbau der Marine, die Modernisierung der Luftwaffe und neue Fähigkeiten bei der Aufklärung geben China nun auch die Möglichkeiten, seinen Machtanspruch ins Meer hineinzutragen. Kleinere Nachbarstaaten fühlen sich dadurch bedrängt, einen Vergleich mit den US-Streitkräften kann sich China hingegen noch nicht stellen.

Läutet der Inselstreit einen heißen Konflikt zwischen der zweit- und drittgrößte Ökonomie der Welt ein?

Prof. Köllner: Es war schon immer so: Wenn es zu derartigen, schon tektonischen Machtverschiebungen kommt, wie nun im pazifischen Asien, kann Hitze entstehen. Deshalb ist die entscheidende Frage, wie alle Beteiligten mit diesen Aufwallungen umgehen.

Im ostchinesischen Meer wächst die Gefahr auch zufälliger Eskalationen zwischen zwei hochgerüsteten Marinen. Kann Asien von europäischen Abrüstungserfahrungen profitieren?

Prof. Köllner: Wir haben in Europa zwei große Kriege gebraucht, bis die Weisheit so weit vorangeschritten war, dass man zu einer Vergemeinschaftung kriegswichtiger Ressourcen gekommen ist. Von diesem Punkt sind wir in Asien noch weit entfernt. Vertrauensbildende Maßnahmen wären in der Tat ein lohnender Schritt, damit Europas Vergangenheit nicht Asiens Zukunft wird.

Hat Europa überhaupt eine Stimme, die in Asien noch gehört wird?

Prof. Köllner: Die Europäische Union und Deutschland werden in der Region natürlich vor allem als Wirtschaftspartner wahrgenommen. Ihre Rolle ist also nur sehr beschränkt. Gleichwohl könnte es in Einzelfällen möglich sein, so etwas wie eine Mittlerrolle zu spielen. Im aktuellen Inselstreit sehe ich das aber nicht.

Die arrivierte Supermacht wird von einer Aufsteigernation herausgefordert. Im 19. Jahrhundert mündete die Rivalität zwischen Großbritannien und Deutschland im Krieg. Wiederholt sich die Geschichte?

Prof. Köllner: Eine Schule der wissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen nimmt genau dies an. Andere Forscher betonen dagegen, dass China über Jahrhunderte in Asien eine dominante Rolle gespielt hat und sich die Nachbarstaaten ohne größere Konflikte gefügt haben. Noch ist offen, wer Recht behält.

Erleben wir eine Rückkehr zur Normalität: China als Reich der Mitte, was es nur rund 500 Jahre nicht war?

Prof. Köllner: Viele Chinesen hoffen als Wiedergutmachung für die Ära der Demütigung auf eine Wiederherstellung der einstigen territorialen Einflusszone.

Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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