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Landeszeitung Lüneburg: Sport- und Medienexperte Hackforth zum Fußball-Wettskandal: Schuss vor den Bug im Fall Hoyzer hat nicht gesessen

Lüneburg (ots)

Der größte Wettskandal in der europäischen
Fußball-Geschichte zieht weiter Kreise: Betroffen sein soll sogar ein
Spiel zur Champions-League-Qualifikation. Laut Prof. Josef Hackforth,
Direktor des Instituts für Sportkommunikation an der TU München, wäre
der Skandal vermeidbar gewesen. Doch der Staat habe zugelassen, dass 
sich ein illegaler Milliardenmarkt entwickelte. Nötig seien jetzt 
harte, möglichst EU-weite Sanktionen.
Private Sportwetten sind verboten -- und verdienen die 
Veranstalter Milliarden. Ist der Staat waffenlos gegen die 
Wettspielmafia?
Prof. Josef Hackforth: Zumindest hat der Staat in den vergangenen 
zwei bis vier Jahren seine Aufsichts- und Exekutivpflicht nicht 
wahrgenommen. Ich habe in einer Studie über Sportwetten als letzten 
Satz geschrieben: 'Die politisch Verantwortlichen müssen unverzüglich
handeln!" Das war im Juni 2009. Doch wegen der Europa- und der 
Bundestagswahl wurde seitens der Politik dieses wichtige Thema 
zunächst auf die lange Bank geschoben.
Glücksspielbetreiber agieren von Gibraltar oder Malta aus. Macht 
ein nationaler Vorstoß da Sinn oder muss EU-weit vorgegangen werden?
Prof. Hackforth: Es muss vieles ineinander greifen. Eine allein 
nationale Initiative würde nicht ausreichen. Deshalb hat sich die EU 
auch schon in einer Reihe von Einzelentscheidungen dieses Problems 
angenommen, wartet aber darauf, dass auch von EU-Mitgliedsländern 
Vorstöße kommen, die ihre Politik gegen das Glücksspiel unterstützen.
Eine Institution wartet auf die andere und so warten alle 
miteinander.
Für die Politik ist dies natürlich ein schwieriges Terrain, weil mit 
dem Internet eine globale Kommunikationsmöglichkeit geschaffen worden
ist, die sie nur ganz eingeschränkt durch nationales oder 
europäisches Vorgehen stören können. Es sei denn, man käme zu dem 
Schluss, Internetseiten von Wettanbietern -- analog zu 
Kinderporno-Seiten -- sperren zu lassen. Hier ist allerdings 
sorgfältiges Abwägen vonnöten, ansonsten erfolgt sofort der Vorwurf, 
es handele sich um Zensur.
Wäre die Sperrung von Internetseiten nicht ohnehin ein stumpfes 
Schwert, weil die Wettanbieter sofort neue Websites aufmachen würden?
Prof. Hackforth: Es ist wie bei Dopingverfahren auch in diesem 
Fall ungemein schwierig, präventiv vorzugehen. Aber ich sehe Chancen:
Erstens sollte man beim Fußball Sportwetten auf niedrigklassigem 
Niveau nicht mehr zulassen -- also auf Spiele unterhalb der zweiten 
Liga. Zweitens sollte man die Live-Wetten untersagen. Wenn das noch 
nicht ausreicht, kann man die Wetten im Internet angehen.
Zentraler ist noch, die bisher einseitig auf den Fußball und den 
Sport bezogene Diskussion auf die wichtigere Ebene der Wettanbieter 
zu verlagern. Derzeit haben wir die staatlichen Wettanbieter 
Lotto/Toto und Oddset. Sämtliche privaten Wettanbieter, alle 
Live-Wetten sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und
dem Glücksspielstaatsvertrag von 2007 eigentlich nicht zulässig. 
Dennoch hat sich dieser Milliardenmarkt abseits von der Politik und 
abseits vom Recht entwickelt.
Verblüffend, angesichts der Erschütterungen durch den Wettskandal 
von 2005. Warum wurde aus der Hoyzer-Affäre nichts gelernt?
Prof. Hackforth: Zum einen mahlen Mühlen langsam. Zum anderen 
glaubten damals viele, dass die Verurteilung der Drahtzieher und des 
ehemaligen Schiedsrichters ein Zeichen gesetzt hätte, dass 
Nachahmungstäter abschrecken würde. Wie wir heute wissen, haben die 
damaligen Drahtzieher auch im aktuellen Fall mitgemischt. Hinzu kamen
neue Mittelsmänner aus Osteuropa, der Türkei und Nordrhein-Westfalen.
Also hat der Schuss vor den Bug nicht gesessen. Man muss nun zu 
anderen Sanktionen greifen, letztlich auch zu härteren Strafen.
Der Schuss vor den Bug verpuffte auch bei den Nutzern: Der 
Hoyzer-Skandal löste sogar einen regelrechten Wettboom aus, teilweise
verzehnfachten sich die Umsätze. Müssen die Medien ihre 
Sportberichterstattung überdenken?
Prof. Hackforth: Ja, sie sollten zwei Dinge überdenken. Zum ersten
bieten viele Medien, vor allem das Fernsehen, Anreize, zu wetten und 
zu spielen, um zu gewinnen. Insgesamt wird der Spiel- und Wettsucht 
besonders von Jugendlichen massiv Vorschub geleistet.
Zweitens finde ich bedenklich, dass die Medien gerade in den 
vergangenen Tagen quasi zu Ermittlern geworden sind. Während die 
Staatsanwaltschaft Bochum leiser geworden ist, nachdem sie zu Recht 
dafür kritisiert wurde, dass sie vorpreschte ohne konkret zu werden, 
werden die Medien umso lauter. Sie übernehmen quasi die Ermittlungen 
und verbreiten Hypothesen. Hier wünschte ich mir ein bisschen mehr 
Gelassenheit und Ruhe an der Medienfront.
Welche Sportarten sind neben Fußball besonders anfällig für 
Wettbetrug?
Prof. Hackforth: Eigentlich alle, die weltweites Interesse 
hervorrufen -- zum Beispiel Boxen. Betroffen sind aber nicht so sehr 
die Veranstaltungen im Rampenlicht wie Fußball-Weltmeisterschaften 
oder Olympische Spiele. Weil dort die Aufmerksamkeit vielfach erhöht 
ist und die Sicherungssysteme beser greifen. Je weniger relevant aber
die Sportereignisse sind, desto eher gibt es 
Manipulationsmöglichkeiten.
Ist der Wettskandal Indiz für einen allgemeinen Werteverfall?
Prof. Hackforth: Das muss man auf einer abstrakten Ebene 
sicherlich diskutieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die 
protestantische Ethik dominant, die Werte wie Disziplin, Fleiß und 
Sozialverhalten hochhielt. Ende der 60er, Anfang der 70er-Jahre 
verschoben sich dies in Richtung Hedonismus, also lustbetonte Werte, 
Selbstverwirklichung und Emanzipation. Diese Spaßgesellschaft wurde 
mittlerweile von der Werte-Aktualisierung abgelöst. Das heißt, je 
nach Lebensalter und -situation werden die Werte unterschiedlich 
gemischt und gewichtet.
Sieht man sich aber in der Formel-1 den Briatore-Skandal an, in der 
Fußball-WM-Qualifikation Thierry Henry, dessen zweifaches Handspiel 
Irland die WM nahm, sieht man sich darüber hinaus die Dopingskandale 
an, aktuell den Fall Claudia Pechstein im Eisschnellauf, dann zeigen 
diese Fälle, dass Lügen und Betrügen an der Tagesordnung sind.
Was Bank-Manager und Politiker an Fehlverhalten zeigen, findet sich 
aber auch bei uns: Von der Einkommenssteuererklärung bis hin zum 
Alltag im Beruf gehört dieses Verhalten mittlerweile leider zur Norm.
Hier wäre eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte angezeigt.
Auf eine solche Rückbesinnung hofften viele nach dem Freitod von 
Robert Enke. Ist diese Hoffnung schon geplatzt?
Prof. Hackforth: Die Nation hielt kurz inne. Die Botschaft von 
DFB-Chef Theo Zwanziger auf der Trauerfeier für Robert Enke, der für 
mehr Menschlichkeit im Leistungssport warb, kam durchaus an. Nur 
leider wurde diese nachdenkliche Phase von den tagesaktuellen 
Ermittlungen um den Wettskandal überrollt. Anderenfalls wäre die 
Chance größer gewesen, die angestoßene Diskussion fortzuführen. Mitte
Januar will der DFB dies auf einem Kongress fortführen, bei dem auch 
Werteverfall ein Thema sein soll.
Schleswig-Holstein will den Glücksspielstaatsvertrag 2011 kippen, 
um auch an Private Konzessionen zu verteilen. Verkommt Fußball dann 
zum Glücksspiel?
Prof. Hackforth: Nach unseren Erkenntnissen ist das staatliche 
Glücksspielmonopol zumindest der Versuch, kriminelle Energien und 
Manipulationsversuche zurückzudrängen. Und dieser Versuch hat bisher 
ganz gut funktioniert. Wird dieser Markt für private Wettanbieter 
geöffnet, sollte man zumindest Vorsorge trefffen, dass nur in 
Deutschland ansässige Wettbüros zum Zuge kommen können. Damit in 
Deutschland Steuern bezahlt und Sozialabgaben für den Sport abgeführt
werden. Darüber hinaus müssten die Wettanbieter aus dem Ausland auf 
dem deutschen Markt verboten werden.
Wenn man den Markt ohne diese Vorkehrungen komplett liberalisiert, 
sehe ich große Gefahren für weitere Betrugsversuche.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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