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Landeszeitung Lüneburg: Ex-SPD-Wahlkampfmanager Heino Wiese im Interview: "Jetzt muss Merkel nur noch Pofalla einsperren"

Lüneburg (ots)

Große Politikentwürfe sind einen Monat vor der
Bundestagswahl nicht erkennbar. Die Parteien führen einen 
Wohlfühlwahlkampf, der drängende Fragen wie den Schuldenabbau 
ausblendet. Die gezielte Langeweile ist eine kluge Strategie von 
Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, sagt der Unternehmensberater 
und frühere Wahlkampfmanager Heino Wiese. Die SPD kann dagegen kaum 
etwas ausrichten.
Sie haben Erfahrung mit Wahlkampf-Kampagnen. Hat die SPD Sie schon
um Rat gebeten?
Heino Wiese: Die Partei nicht, aber einzelne Politiker der SPD.
Was raten Sie denen?
Wiese: Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie man sich in 
Szene setzt oder ob man ein bestimmtes Thema aufgreifen sollte oder 
nicht. Ich bin aber nicht derjenige, der sagt: Ihr müsst jetzt eure 
komplette Strategie ändern.
Die SPD hofft auf eine Aufholjagd, wie sie Gerhard Schröder 2005 
gelungen ist. Wie kann Frank-Walter Steinmeier das schaffen?
Wiese: Anders als der Europawahlkampf, der viel zu aggressiv war, 
ist die Strategie der SPD jetzt deutlich besser strukturiert. Der 
"Deutschland-Plan" spielt zwar in der täglichen 
Wahlauseinandersetzung kaum eine Rolle, weil das alles viel zu 
kompliziert ist. Aber hier gibt es ein Programm, das für alle in der 
Partei eine Orientierung ist, das anzeigt: In diese Richtung wollen 
wir gehen. So vermeidet man, dass jeder die Partei anders darstellt.
Der SPD-Kandidat ist glaubwürdig. Er bleibt sich treu. Ich hätte Ulla
Schmidt - die ich sehr schätze - rausgeschmissen. Aber Steinmeier ist
eben Steinmeier. Er ist fair ihr gegenüber, auch wenn die 
"Bild"-Zeitung das Thema jeden Tag neu anheizt.
Neben der Dienstwagen-Affäre scheint das Ackermann-Abendessen der 
einzige "Aufreger" zu sein. Können Sie sich an eine ähnlich 
inhaltsleere Vorwahlzeit erinnern?
Wiese: In der Sommerpause hatten wir bisher immer - übrigens bei 
allen Parteien - solche Ausrutscher. Aber so läuft das Spiel eben: 
Lass meine Ulla in Frieden, dann lasse ich deinen Ackermann in Ruhe. 
Das sind Themen, die mit Politik nichts zu tun haben, das sind 
persönliche Kleinstverfehlungen.
Bei den wirklich wichtigen Fragestellungen ist es für die SPD schwer.
Sagt man, "wir wollen Vollbeschäftigung", entgegnet Angela Merkel wie
selbstverständlich, "ich will auch Vollbeschäftigung". Sie hat sogar 
das Thema Russland, das kontrovers behandelt wurde, durch ihren 
Besuch in Sotschi entschärft und steht letztlich als Gewinnerin da. 
Es ist eine ausgesprochen kluge Strategie von ihr, keine 
Angriffsflächen zu bieten. Wahrscheinlich hat Christian Wulff ihr 
dazu geraten. Er hat das auch schon erfolgreich praktiziert.
Wenn man dann jemanden wie Angela Merkel unter der Gürtellinie 
attackiert, kommt das nicht gut an. Die Versuche von Franz 
Müntefering sind für die Mobilisierung der eigenen Parteimitglieder 
sicher sehr hilfreich, aber sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung 
eher kontraproduktiv.
Die Umfragewerte für die SPD sind auch ohne Zutun der Union im 
Keller - hat Angela Merkel keinen Wahlkampf mehr nötig?
Wiese: Der Wahlkampf kann auch darin bestehen, dass man präsent 
ist, aber nichts Spektakuläres macht. Das ist die Strategie der 
Union. Wenn Merkel es jetzt noch schafft, Ronald Pofalla 
einzusperren, hat sie große Chancen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. 
Nur, wenn sich die Parteien - sozusagen in der zweiten Reihe - in 
Person ihrer Generalsekretäre noch einmal richtig beharken, könnte 
Merkel zu einer Positionierung gezwungen sein.
An drängenden Fragen mangelt es ja nicht. Die Rekordverschuldung 
des Staates etwa, die zu einem drastischen Sparkurs zwingen wird. 
Fehlt den Parteien der Mut zur Wahrheit?
Wiese: Alle Parteien wissen natürlich genau, was auf sie zukommt. 
Sie wissen auch, dass man zwar Wunschwege haben kann, dass sie sich 
aber auf Kompromisse einlassen müssen. Ohne eine Große Koalition 
hätten wir übrigens viele Probleme nie gelöst, auch wenn - etwa bei 
der Föderalismusreform - nicht alle Ziele erreicht worden sind. 
Gerade in der aktuellen Krisensituation hätte man gegenüber einer 
starken Opposition vieles nicht durchsetzen können.
An den Leistungen von Schwarz-Rot hat auch die SPD ihren Anteil, 
aber die Erfolge werden offenbar vor allem der Kanzlerin 
zugeschrieben. Sind die Sozialdemokraten die Verlierer der Großen 
Koalition?
Wiese: Als Juniorpartner in einer Großen Koalition hat man es 
immer schwer, sich darzustellen. Da kann man nur von Fehlern der 
anderen Seite profitieren. Und Angela Merkel hat Fehler vermieden. 
Das ist das Prinzip ihrer Politik. Steinmeier und Gerhard Schröder 
machen sich in Russland für Opel und die Wadan-Werften stark, und die
Kanzlerin heimst die Lorbeeren ein. Das macht sie hoch professionell.
Auch die Opposition zeigt wenig Biss. Wächst mit der Anzahl 
möglicher Koalitionen die Beißhemmung gegenüber dem jeweiligen 
Wunschgegner?
Wiese: Guido Westerwelle weiß genau, dass er seine Chancen zuletzt
dadurch verspielt hat, dass er zu viel wollte. Selbst wenn die FDP 
nur auf zwölf Prozent kommt, ist das ein Level, das die Partei nie 
gehabt hat. Entsprechend wird da jetzt kalkuliert. Wenn die 
Opposition so klein ist, hat sie es auch schwer, durchzudringen. Das 
wirkt, als wenn sich ein Kläffer an einem großen Baum abarbeitet. 
Solange Frau Merkel nicht wieder die neoliberale Meinung von Herrn 
Westerwelle übernimmt, hat der FDP-Chef wenig zu melden. Die Grünen 
sind eine Programmpartei, sie werden eher als Opposition begriffen, 
aber nicht als Partei, die den richtigen Weg weist. Eine 
staatstragende Rolle konnte sie nur in der Ära Fischer vermitteln.
Werden die kleineren Parteien vom Watte-Wahlkampf der großen 
profitieren?
Wiese: Das ist schwer zu sagen. Es wird am Ende die Frage sein, ob
die Menschen noch eine Große Koalition wollen. Angesichts der 
gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen werden viele Wähler 
sagen, "das lass mal lieber die Großen machen". Das Problem ist, dass
wahrscheinlich 80 Prozent der Bürger die Ziele von Schwarz-Gelb 
ablehnen würden, aber nicht wirklich genau wissen, welches die Ziele 
sind.
Sehen Sie die Gefahr, dass die fehlende Polarisierung und 
Unterscheidbarkeit der Parteien zur Folge haben, dass ein Drittel der
Wähler zu Hause bleibt?
Wiese: Wenn die Unionswähler davon ausgehen, dass die Wahl schon 
gelaufen ist und wenn es die SPD gleichzeitig schafft, ihre Wähler zu
mobilisieren, ist das noch einmal eine Chance für Steinmeier. Und 
davor hat man im Adenauer-Haus auch richtig Angst. Die CDU kann noch 
nicht die Champagnerkorken knallen lassen.
Vera Lengsfeld zeigt Busen, Horst Schlämmer und Martin Sonneborns 
"Die Partei" persiflieren den Politikbetrieb im Kino, Franz
Müntefering empfiehlt Angela Merkel, schon mal die Umzugskisten zu 
packen: Ernsthaftigkeit wird durch Pointen ersetzt. Was sagt das über
den Zustand unserer politischen Kultur aus?
Wiese: Diese Zuspitzung hat es im Wahlkampf immer gegeben. Thomas 
Krüger (SPD) hat vor der Wahl auch schon mal seinen nackten Hintern 
gezeigt. Es gab das Guido-Mobil, Karl Ravens ist hinter einem Traktor
auf einem Anhänger durchs Land gefahren, Walter Scheel hat "Hoch auf 
dem gelben Wagen" zum Besten gegeben - es gab immer Sachen, die ein 
bisschen neben der Spur waren. Wenn die Politik im Kino auf die 
Schippe genommen wird, ist das in Ordnung. Horst Schlämmer wäre ein 
optimaler Koalitionspartner.
Gibt es eine Wechselstimmung - wenn auch nur in Richtung 
Schwarz-Gelb?
Wiese: Nein. Wenn ich als Unternehmensberater in mittelständische 
Firmen gehe, ist davon nichts zu spüren. Da gibt es eher die 
Hoffnung, dass in einer Großen Koalition Karl-Theodor zu Guttenberg 
eine liberale Rolle übernimmt. Es war sicher klug von der Union, 
diesen vermeintlichen Superstar noch schnell aufzubauen.
Lässt sich Wechselstimmung durch Wahlkampf erzeugen?
Wiese: Gerhard Schröder hat ja gezeigt, dass das geht. Dazu bedarf
es aber einer echten Zuspitzung. Aber entscheidend ist dann, dass die
Medien darauf anspringen. Dann kann man jedes Thema aufblasen, zum 
Beispiel die Schweinegrippe zur Pandemie machen, auch wenn andere 
Grippeviren viel gefährlicher sind. Was hätte die "Bild" aus dem 
Ackermann-Abendessen gemacht, wenn das bei einem SPD-Minister 
stattgefunden hätte.
Kommt der Bundestagswahlkampf nach den Landtagswahlen am Sonntag 
noch einmal richtig in Schwung?
Wiese: Wenn sich im Saarland Rot-Rot abzeichnet, wird das sicher 
ein Thema sein, das die Union hochzieht. Andersherum könnte es auch 
sein, dass ein paar Prozentpunkte Zuwachs der SPD einen 
Motivationsschub geben. Es ist noch nichts entschieden. Christian 
Wulff hat innerhalb von zweieinhalb Monaten die Stimmung in 
Niedersachsen komplett umgedreht. Noch im Dezember 2002 war die 
Wahrnehmung: "Der kann das nicht." Im Februar war er dann der 
strahlende Sieger. Wenn der richtige Waggon vorbeifährt, muss man auf
den aufspringen. Den zu erkennen und zu nutzen, war eine von 
Schröders großen Stärken.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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