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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu den Koalitionsverhandlungen

Regensburg (ots)

Es knirscht, statt zu quietschen

von Louisa Knobloch

Die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD sind auf der Zielgeraden. Man werde "verhandeln, bis es quietscht", hatte Andrea Nahles auf dem Parteitag angekündigt. Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse, macht sich jedoch Ernüchterung breit. Gut möglich, dass die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag durchfallen lassen. Damit wäre die einstige große Volkspartei endgültig am Boden - und eine auch personelle Erneuerung nötig. Zu den wenigen erfreulichen Punkten zählt die Einigung der Parteien im Bildungsbereich: das Kooperationsverbot im Grundgesetz wird gelockert, Schulen erhalten mehr Geld für die Digitalisierung und Grundschüler sollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben. Dann beginnt es aber schon zu knirschen, statt zu quietschen. Zwar konnte die SPD erreichen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab 2019 wieder den gleichen Anteil an den Krankenkassenbeiträgen bezahlen. Hier muss man sich aber auch ins Gedächtnis rufen, dass die Partei im Koalitionsvertrag von 2013 zugestimmt hatte, dass Zusatzbeiträge nur von den Arbeitnehmern zu tragen sind. Von ihrer Forderung nach einer Bürgerversicherung mussten sich die Genossen schon früh verabschieden und auch die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin durch eine Angleichung der Arzthonorare ist mit der Union nicht ohne weiteres zu machen. Dass die Koalitionäre ein Sofortprogramm für 8000 neue Stellen in der Pflege auflegen wollen, ist angesichts des tatsächlichen Personalbedarfs nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei der Rente verkündeten die Verhandlungspartner stolz, dass es zwei "Haltelinien" geben soll: So wollen Union und SPD das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent halten und die Beiträge zur Rentenversicherung sollen bis zu diesem Jahr nicht über 20 Prozent steigen. Richtig kritisch wird es aber erst danach, wenn die Generation der Babyboomer - also der zwischen 1955 und 1969 Geborenen - in Rente geht. Hier droht vielen die Altersarmut. Beim Thema Migration konnte man oft nur noch den Kopf schütteln, wenn man sich anhörte, wie unterschiedlich Politiker von Union und SPD die Verhandlungsergebnisse interpretierten. Ist eine Zuwanderung von 180 000 bis 220 000 Menschen pro Jahr nun eine Obergrenze - oder doch nicht? Auch die Einigung beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz reklamieren beide Lager als Erfolg für sich. Eine deutliche Nachbesserung, wie Martin Schulz sie auf dem Parteitag versprochen hatte, ist die Übernahme einer bestehenden Härtfallregelung, von der bislang nur etwa 100 Menschen pro Jahr profitieren, sicherlich nicht. Eine Einigung von Union und SPD bedeutet also noch lange nicht, dass die nächste GroKo kommt. Denn zunächst dürfen - wie bereits 2013 - die rund 440 000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Vor fünf Jahren votierten die Genossen noch mit einer Dreiviertelmehrheit für die große Koalition, auch um sozialdemokratische Herzensanliegen wie den Mindestlohn umzusetzen. Diesmal wird es wohl deutlich knapper: Auf dem Parteitag sprachen sich nur 56 Prozent der Delegierten überhaupt für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aus. Die SPD-Mitglieder haben es in der Hand, die GroKo noch platzen zu lassen. Dann stünde Deutschland fast fünf Monate nach der Bundestagswahl noch immer ohne neue Regierung da. Neuwahlen könnten für die SPD allerdings noch verheerendere Folgen haben als eine erneute GroKo: Im aktuellen Deutschlandtrend ist die Partei auf 18 Prozent abgesackt - die AfD liegt derzeit bei 14 Prozent. Auch die Umfragewerte von Martin Schulz sind im Sinkflug. Sollte er nach seinem Sinneswandel beim Thema Koalitionsverhandlungen nun Mitglied einer GroKo-Regierung werden, obwohl er das zuvor ausgeschlossen hatte, macht er sich unglaubwürdig - und sollte den Platz an der SPD-Spitze räumen.

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