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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur "RAF"
Bedrückende Lehren aus einer bleiernen Zeit

Regensburg (ots)

Trügt die Erinnerung? Waren jene Monate, in denen die Republik vermeintlich am Abgrund stand, tatsächlich so düster und wolkenverhangen wie die Atmosphäre im Land? Kurzum und banal gefragt: Passte das Wetter zur kollektiven Stimmung? Diejenigen, die den sprichwörtlichen Deutschen Herbst und die bleierne Zeit vor 40 Jahren bewusst erlebten, haben die Schwarz-Weiß-Bilder von zerfetzten Körpern unter Abdeckplanen, von Glassplittern und ausgelaufenem Motorenöl auf regennassem Asphalt vor Augen - ebenso wie die Fahndungsfotos, auf denen die Gesichter der Staatsfeinde oft zu Fratzen verzerrt waren. Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag waren allgegenwärtig. Ein Anblick, an den wir uns gerade wieder widerwillig gewöhnen. Der Terror der Siebziger hatte viele Gesichter. Die PLO, die IRA, die Eta, die Roten Brigaden - sie bombten und mordeten aus linksextremistischen, revolutionären, nationalistischen oder kruden sozialromantischen oder -utopischen Motiven. Den Nachgeborenen sei gesagt, dass in den westlichen, zumal europäischen Ländern das Gesellschaftsmodell längst nicht so zementiert war wie heute. Der Modernisierungsschub der 68er-Bewegung hatte es nicht vermocht, zentrale Widersprüche aufzulösen. Die USA hatten sich im Vietnam-Krieg als Führungsmacht diskreditiert, Ölpreisschocks brachten die Weltwirtschaft ins Wanken, traditionelle Wirtschaftszweige wie Kohle und Stahl kollabierten, das Gespenst des Eurokommunismus ging um, der Kalte Krieg lastete als latente Bedrohung in den Köpfen. Das mörderische Treiben der Baader-Meinhof-Gruppe und später der Roten Armee Fraktion (RAF) markierte trotz des internationalistischen Gehabes einen deutschen Sonderweg. Die Wut der jungen Generation auf die herrschenden Verhältnisse im Kapitalismus speiste sich hierzulande auch aus dem Schweigen der Eltern über die Gräuel der Nazis und aus dem Entsetzen über die restaurativen Tendenzen der Adenauer-Jahre. Entsetzt registrierte die deutsche Politik damals, dass die Zahl der klammheimlichen Sympathisanten der RAF in die Millionen ging. Da spielte die grassierende Revolutionsromantik jener Zeit eine Rolle. Dennoch war die Gruppe nie auch nur ansatzweise breit gesellschaftlich verankert. Mit spätpubertär anmutender Hybris wähnte sie sich auf Augenhöhe mit der Bundesregierung, wo sie doch letztlich isoliert und nur ein Sammelbecken für gewalttätige Wirrköpfe war. Dass die verbliebenen Mitglieder Unterschlupf im realsozialischen Biedermeier der DDR fanden, unterstreicht den moralischen wie politischen Bankrott. Man ist geneigt, das widerwärtige Kapitel deutscher Geschichte nach vier Jahrzehnten zuzuklappen. Und trotzdem dient die Ära der RAF auch als Mahnung. Der Staat, der seine führenden Repräsentanten und sein Gewaltmonopol bedroht sah, reagierte mit Repression und gesetzgeberischen Maßnahmen, die jederzeit geeignet waren, die Freiheits- und Bürgerrechte auszuhebeln. Raster- und Schleierfahndung, Isolationshaft, die Diskussion über eine Wiedereinführung der Todesstrafe: Ein versprengter Haufen irregeleiteter Idealisten und Gewalttäter hatte es vermocht, die alte Bundesrepublik an den Rand des angeblichen Staatsnotstands zu treiben. In Zeiten der ungemein größeren Bedrohung durch den islamistischen Terror ist die Gefahr einer staatlichen Überreaktion virulent. Wenn es eine Lehre aus der Zeit der RAF zu ziehen gibt, dann diese: Die Antwort des Rechtsstaats muss angemessen sein - und nicht von Panik diktiert.

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