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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Claudia Bockholt zu Oscars

Regensburg (ots)

Die Wachhaltedrinks und die Popcornschüsseln sind geleert. Am Ende einer langen Oscar-Nacht dürfen wir uns die übermüdeten Äuglein reiben und vor uns hin schimpfen: Nur ein Oscar für Linklaters "Boyhood", wie kann das sein? Und warum wurde Michael Keaton, der fantastische Flattermann, übergangen und statt seiner ein junger britischer Hüpfer als bester Schauspieler ausgezeichnet? Weil der einen Behinderten spielt, ist ja so logisch wie politisch korrekt. Und dass David Oyelowo für seine Darstellung des Martin Luther King nicht einmal nominiert war, ist pfeilgrad Beleg für üblen Rassismus. Nur: Warum wurde "12 Years A Slave" 2014 dreifach ausgezeichnet? Hm. Die alten weißen Männer in der Oscar-Akademie breiten ihren Kritikern jedes Jahr den roten Teppich aus. Das Herummäkeln an ihren Entscheidungen ist so sehr Teil des Rituals geworden wie die retardierende Spannungspause zwischen dem Öffnen des goldenen Umschlags und dem Verkünden des Gewinners. Die Feuilletons erregen sich über ein total unpolitisches Promi-Event - und lassen auf Facebook Modeblogger und Designer die "Tops und Flops" der Hollywood-Roben 2015 küren. Demnach ist nicht die Missachtung von "Selma" skandalös, sondern das Kleid von Marion Cotillard mit diesem eigenartigen Gesäßriegel. Incroyable! Vergessen wir den Hashtag #AskHerMore, fragen wir sie lieber, wann sie ihren Stylisten feuert. Die Kritik daran, dass zwei Komödien die meisten Preise abgeräumt haben, ist wieder einmal ziemlich deutsch. Das Autorenkino hängt uns noch bleischwer an den Füßen. Wo gelacht wird, muss Til Schweiger drin stecken - und das ist pfui. Dabei hat selbst die als durchaus politisch gewürdigte Berlinale "Grand Budapest Hotel" im vergangenen Jahr als preiswürdig erachtet und Wes Andersons fantastisch fabulierender Bilderflut den Großen Preis der Jury zuerkannt. "Birdman" wie "Grand Budapest Hotel" haben ihre ganz eigene filmische Erzählsprache gefunden. Angesichts der Massen von Filmen, die in nie abreißendem Strom in die Multiplexe gespült werden, ist das schon eine Kunst. Zu tapferen Hollywood-Helden hochgejazzt wurden gestern Patricia Arquette (Frauen), John Legend (Schwarze) und Graham Moore (Homosexuelle). Als wäre es nicht in den letzten Oscar-Jahren längst salonfähig geworden, sich mit der Goldstatue in der Hand als Politaktivist zu gerieren, ja mehr noch: Als wäre es nicht mittlerweile opportun, neben dicken Gagen auch noch Meriten für das Gründen und Unterstützen von Hilfsorganisationen einzustreichen - siehe Sean Penn, Angelina Jolie und zahllose andere Stars, die viel Geld und Energie ins Branding, den Aufbau der Eigenmarke, stecken. Vergessen wir nicht: Dies ist kein von Studenten auf die Beine gestelltes Independent-Filmfestival in der Lüneburger Heide. Dies ist Hollywood, dies ist die Traumfabrik. Hier sitzt nicht nur jede Haarlocke und jede Falte des Traums von Dior - hier ist auch jedes Wort, jede Geste von Beratern durchchoreografiert, jede Träne der Rührung vorher von PR-Managern abgenommen. Wer in Los Angeles das Echte, Wahre, Gute sucht - der sollte zum Arzt gehen. Die Oscar-Verleihung ist das wichtigste Ereignis des Filmjahres. Wochen vorher werden alle zappelig, selbst Kinomuffel, die höchstens ein neuer Bond oder der "Herr der Ringe" vor die Leinwand kriegen, reden mit. Wir alle, das Publikum, sind Teil dieser fast ein wenig größenwahnsinnigen Inszenierung. Und solange die halbe Welt in der Oscar-Nacht vor dem Fernseher sitzt, wird Hollywood im Goldrausch weiter um sich selbst kreisen - und die maulenden, müden Cineasten rennen hinterher.

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