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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Wahl in Italien: Von wegen naiv von Sebastian Heinrich

Regensburg (ots)

Das Wahlergebnis in Italien hat Deutschland erschreckt. Dabei ist es ein klares Signal an Europa.

Wer Klischees über Italien mag, der kommt seit Montagnachmittag voll auf seine Kosten. Nach der Parlamentswahl herrschten "italienische Verhältnisse", ist in einer Berliner Zeitung zu lesen. Über die "Grande Confusione" auf dem Stiefel spöttelt ein Boulevard-Blatt. Es wirkt überheblich, wenn festgehalten wird, Millionen Italiener seien trotz der schwierigen Lage ihres Landes so naiv, dass sie den "Populisten" Silvio Berlusconi und Beppe Grillo erlegen seien. Denn mit Naivität lässt sich beileibe nicht erklären, wie die Menschen südlich der Alpen gewählt haben. Das gilt für die enttäuschenden Resultate des hauchdünnen Wahlsiegers, der "Demokratischen Partei" (PD) von Pier Luigi Bersani, ebenso wie für den kolossalen Flop des amtierenden Ministerpräsidenten Mario Monti. In Europa mag man entsetzt sein, wie wenig Konsens der hochgepriesene Reformer Monti daheim verbucht hat. Dabei ist das nur logisch: Seine Politik hat weite Teile der Bevölkerung ärmer gemacht - Steuersünder und Superreiche aber ebenso verschont wie die Privilegien der Politik. PD-Kandidat Bersani bescheinigten Umfragen noch im Dezember einen haushohen Vorsprung. Doch im Wahlkampf nahm er, der im Falle eines klaren Wahlsiegs mit Monti koalieren wollte, vor allem Floskeln in den Mund und lieferte kaum konkrete Antworten auf die Not der Bevölkerung. Anders als Berlusconi. Dessen Werte sind im Vergleich zur Wahl von 2008 zwar eingebrochen. Doch mit gekonnt inszenierten TV-Auftritten hat er immerhin den harten Kern der Mitte-Rechts-Wähler gewonnen - und mit dem Versprechen konkreter Entlastungen bei vielen gepunktet, welche die Wirtschaftskrise an den Rand des Existenzminimums getrieben hat. Und auch die meisten Wähler von Beppe Grillos Bewegung "Fünf Sterne" (M5S) verdienen das Prädikat "naiv" nicht. Der Wuschelkopf aus Genua ist zwar Komiker, aber keine Witzfigur. Er arbeitet sich seit den 80er Jahren auf der Bühne an der korrupten politischen Klasse des Landes ab - mit scharfer Analyse, bissiger Kritik und interessanten Vorschlägen. Das "Time Magazine" pries ihn 2005 für seinen Mut, heikle politische Themen anzusprechen. Seine Bewegung will die großen Übel Italiens beim Schopf packen: Vetternwirtschaft und Korruption, die absurden Privilegien der Politik, den Einfluss mafiöser Organisationen - und spricht damit vielen Italienern aus der Seele. Unter Grillos Anhängern sind viele Handwerker, Kleinunternehmer und hoch spezialisierte Akademiker, die die Misere ihres Landes nicht mehr ertragen wollen. Manche von Grillos Rezepten - wie ein Referendum für den Austritt aus der Eurozone - sind verquer, sein Umgang mit kritischen Fragen ist grenzwertig. Doch das Fundament seiner Bewegung ist der Glaube an eine bessere, integrere, glaubwürdigere Politik. Und die braucht Italien gerade in der Krise mehr denn je. Es wäre das Beste für Italien, wenn der Wahlsieger PD auf Grillos M5S zuginge - anstatt die Fühler auszustrecken nach einer großen Koalition mit Berlusconis Bündnis, welches das Land an den Rand des Bankrotts geführt hat. Die Politik in Deutschland täte gut daran, das Votum der Italiener nicht als kollektiven Fehler abzutun. Die Ohrfeige für Monti und Bersani ist vielmehr eine deutliche Absage an die Sparpolitik nach Berliner Rezept. Eine Politik also, die - wie in Griechenland und anderen Krisenländern - vor allem sozial Schwache und ehrliche Steuerzahler belastet: diejenigen also, die für die Probleme in ihrem Land am wenigsten können. Wer nur auf Haushaltssanierung pocht und die Menschen hinter dem Bruttoinlandsprodukt vergisst, verdient am Ende vor allem ein Prädikat: naiv.

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