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Mittelbayerische Zeitung: Zeit für die Wahrheit An einem neuen Schuldenschnitt für Griechenland führt kein Weg vorbei. Nur will das keiner zugeben. Von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Wer sich mit antiker Kunst beschäftigt, stößt irgendwann einmal auf Mäander-Ornamente. Folgt man den Linien in diesem dem Fluss Mäander nachempfundenen Muster, stellt man fest, dass sie viele Bögen machen, aber wenig Fortschritt. Womit sie ein perfektes Symbol für die Versuche abgeben, Griechenland vor dem finanziellen Ruin zu retten. Egal, wie viele Gipfel, Last-Minute-Einigungen und Krisentreffen es noch geben wird: Der Untergang Athens wird bislang höchstens verzögert. Dabei stehen die Retter vor einem Grundproblem: Diesen Untergang darf es laut Definition nicht geben. Spätestens seit dem Sommer ist das Festhalten an der Domino-Theorie einheitliche Doktrin der Eurozone und auch der Bundesregierung. Diese Lehre besagt, dass das Ausscheiden eines Landes aus der Währungszone eine Kettenreaktion zur Folge haben wird, deren Ausgang weder abseh-, noch kontrollierbar sein wird. Am Ende könnte das gesamte Projekt "Vereintes Europa" in Scherben liegen. Vieles spricht in der Tat für diese Theorie, aber wie immer gilt auch hier: Schlauer ist man erst, wenn sie Realität geworden ist. Weil es aber der Wille der europäischen Gemeinschaft ist, dass der schlimmste Fall nicht eintreten darf, verfuhren Brüssel, Berlin und Paris wie bei der Polio-Impfung bei Kindern: Es gibt ein bitteres Medikament auf einem Stück Zucker. Das Medikament ist dabei der Zwang zu sparen, der Zucker ist mehr Zeit. Erst gestern ist diese Methode noch einmal angewandt worden: Das Land hat den erforderlichen Sparhaushalt durchgesetzt, dafür hat Athen zwei Jahre mehr Zeit bekommen, seine Schulden zu reduzieren und die Defizitregeln wieder einzuhalten. Problematisch ist allerdings, dass der Zucker nicht mehr süß genug und die Medizin zu bitter geworden ist. Bis Ende 2014 soll das Land 13,5 Milliarden Euro einsparen, danach weitere 3,4 Milliarden. Fast fünf Milliarden Euro werden alleine bei den Renten gestrichen werden, im Gesundheitsbereich 1,5 Milliarden. Deutschland kann sich zur gleichen Zeit den Luxus leisten, seine Neuverschuldung auf 17,1 Milliarden Euro zu drücken. Noch dazu werden die Bundesbürger von Abgaben wie der Praxisgebühr befreit und mit politischen Geschenken wie dem Betreuungsgeld bedacht. Dass wir in den Krisenländern unbeliebt, ja verhasst sind, darf niemanden überraschen, der sich vorzustellen versucht, was geschähe, wenn hierzulande ein griechischer Sparkurs umgesetzt würde. Das Problem beim Kampf gegen die Schuldenkrise in Europa ist, dass er nie Selbstzweck, sondern zwangsläufig immer auch Innenpolitik der Geberländer ist. Merkel etwa versucht, die Tugenden der schwäbischen Hausfrau in den Krisenstaaten zu propagieren. Das soll ihr zu Hause helfen, ihr Bonuskärtchen vollzubekommen, das sie in nicht einmal mehr einem Jahr bei der Wahl einlösen möchte. Das Problem ist aber, dass Schwaben nicht in Spanien, Portugal oder Griechenland liegt. Die Aussicht auf anstrengungslosen Wohlstand war zu lange zu verlockend - und die EU hat die Augen vor den Folgen solchen Denkens und vor handfester Misswirtschaft lange fest verschlossen. Heute an die Sparvernunft zu appellieren, klingt pädagogisch wertvoll. Es nützt nur nichts, wenn ein Land sich zur Bedienung seiner alten Kredite immer neues Geld auf Pump besorgen muss. Wer auf einem mäandernden Fluss Schifffahrt betreiben will, wird ihn eines Tages begradigen müssen. Für Griechenland heißt das: Es wird Zeit, die Wahrheit zu sagen. An einem erneuten, massiven Schuldenschnitt wird kein Weg vorbei führen. Solche Wahrheiten hebt man sich in Berlin aber offensichtlich für die Zeit nach der Wahl auf.

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