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Berliner Morgenpost: Neues Wahlrecht - aber nicht im Hauruckverfahren - Leitartikel

Berlin (ots)

Es kann am Freitag, dem letzten Sitzungstag vor der
Bundestagswahl, noch einmal spannend werden. Grüne und Linkspartei 
wollen noch schnell das Wahlrecht ändern und hoffen dabei auf 
Unterstützung der SPD. Die allerdings müsste dafür den 
Koalitionsvertrag mit der Union brechen. Obwohl der von den Grünen 
eingebrachte Entwurf auch für die Sozialdemokraten verlockend ist, 
weil er die Siegeschancen von Schwarz- Gelb am 17. September 
erheblich schmälern könnte, hat sich die SPD-Führung gestern auf 
Koalitionstreue bis zum letzten Tag festgelegt. Der so kurz vor 
Toresschluss entbrannte Streit zwischen den Parteien bleibt dennoch 
brisant, weil Grüne und Linkspartei bereits behaupten, eine Wahl nach
altem Recht sei eine verfassungswidrige.
Das ist juristisch schwerlich haltbar. Richtig ist, dass das 
Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr die bisherige Regelung der 
Überhangmandate, von der ausschließlich die beiden großen Parteien 
CDU und SPD profitieren, für nicht verfassungskonform erklärt hat. 
Richtig ist aber auch, dass die Richter dem Gesetzgeber Zeit bis 2011
eingeräumt haben, das Wahlrecht dem Grundgesetz anzupassen. Aus gutem
Grund: Ein jahrzehntelang gültiges Wahlrecht, dazu wegen seiner 
Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitsprinzip ein kompliziertes, 
binnen weniger Monate - dazu auch noch kurz vor einer Wahl - zu 
ändern, ist ein höchst anspruchsvolles Unterfangen. Denn an die 
Stelle der alten Ungerechtigkeit darf keine neue treten. Ist es 
beispielsweise gerecht, wenn eine Partei in einem Bundesland 
besonders gut abschneidet, davon aber nicht profitieren soll, weil 
ihr überproportional gutes Abschneiden nach dem Grünen-Entwurf 
verrechnet wird mit den schlechten Ergebnissen in anderen Ländern? 
Und die CSU ? Die tritt nur in Bayern an und hat nichts zu 
verrechnen.
Auf den ersten Blick verfängt die Initiative der Grünen. Doch in 
Wahrheit geht es um Macht, weniger um ein gerechteres Wahlrecht schon
für diesen September. Das gilt übrigens für alle Parteien. Hat in der
Wahl 2005 noch die SPD mehr als die CDU von Überhangmandaten 
profitiert, könnten es diesmal die Christdemokraten sein. Davon 
jedenfalls gehen gleich mehrere Wahlforscher aus. Sie stützen sich 
bei ihren mathematischen Berechnungen auf die derzeitigen 
Umfragewerte, die die CDU so klar vor der SPD sehen. Dank des 
Mischwahlrechts einschließlich der Überhangmandats-Regelung 
prophezeien sie der Union weit mehr Parlamentssitze, als ihr nach dem
reinen Prozent-Ergebnis zustünden. Die Folge: Der Wahlsieg für 
Schwarz-Gelb sei praktisch schon sicher. Vor allem dies zu 
verhindern, darauf zielt der Vorstoß der Grünen fünf Minuten vor 
Zwölf ab.
Aber wer sagt eigentlich, dass die Umfragewerte vier Monate vor dem 
Wahltag tatsächlich etwas mit dem Wahlausgang zu tun haben? Wie 
unsicher die Demoskopen mit ihren frühzeitigen Prognosen mittlerweile
sind, haben die letzten Wahlen in Europa, im Bund und in den Ländern 
gezeigt. Und noch eins: Das Wahlrecht muss Konsens sein zwischen den 
Parteien. Auch deshalb kein Hauruck-Verfahren.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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