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Börsen-Zeitung: Lange Durststrecke voraus, Börsenkommentar "Marktplatz", von Georg Blaha.

Frankfurt (ots)

Es klingt wie die Frage vom Personalberater: "Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?" Gestellt hat sie aber kein Vertreter der Headhunter-Zunft, sondern Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), in Bezug auf seine Forderung, die Eurozone müsse einen Zehnjahresplan entwickeln. Darin steckt der Appell von Europas oberstem Währungshüter an die Politik, mehr zur Bewältigung der historischen Schulden- und Vertrauenskrise im Währungsraum zu leisten.

Konkret forderte Draghi für einen "Wachstumspakt" der Eurozone, mehr Reformen anzupacken, die die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer stärken. Und er schickte gleich die Mahnung hinterher: "Manche Regierungen könnten ehrgeiziger sein."

Draghis Worte machen deutlich, dass sich die Diskussion verschoben hat. Nach Austerität um jeden Preis steht nun Wachstum im Zentrum der Debatten. So richtig mit Leben gefüllt ist der auch bei Politikern beliebte Begriff "Wachstum" indes noch nicht. Die Märkte hat diese Verlagerung der Prioritäten - berechtigterweise - noch nicht beflügelt. Zu wenig ist an Umsetzung zu erkennen, zu sehr verharren die Forderungen im Allgemeinen. Ohne Richtung driften daher die europäischen Indizes dahin, und der Euro verharrt in einer engen Handelsspanne.

Die gute Nachricht dabei ist, dass es trotz neuer Sorgen und Unsicherheiten in der Eurozone bislang keine Kursrutsche gab. Die schlechte ist, dass es wohl erst schlimmer wird, bevor es besser werden kann. Die Konjunkturzeichen für den Euroraum stehen auf Rezession. Kurzfristig werden die Sparmaßnahmen, von denen nicht nur Krisenstaaten, sondern auch Kernländer wie Österreich oder die Niederlande betroffen sind, Wachstum hemmen, was möglicherweise neue Kürzungen notwendig macht. Auf die Zentralbanken sollten die Märkte nicht zu viele Hoffnungen setzen. Sowohl die EZB als auch die amerikanische Federal Reserve zeigten sich zuletzt unwillig, mit neuen Lockerungsmaßnahmen in der Geldpolitik aufzuwarten.

Kurzfristig werden immer wieder politische Ereignisse für Nervosität sorgen. Allerdings dürfte hier schon einiges an Pessimismus eingepreist sein. Dass in Griechenland die beiden großen Volksparteien aller Voraussicht nach mit kleineren und extremeren Parteien koalieren müssen, ist Anlass zur Sorge, überraschen dürfte es niemanden. Für Frankreich scheint es Marktakteuren gleichgültig zu sein, ob Staatspräsident Nicolas Sarkozy oder sein Herausforderer François Hollande in den Élysée-Palast einzieht: Bei den Auktionen französischer Staatspapiere in der beendeten Woche waren gleichbleibende oder sogar sinkende Renditen zu verzeichnen.

Für Marktteilnehmer scheint die Zehnjahresfrist indes die richtige Periode zu sein, innerhalb der realistischerweise Verbesserungen im Euroraum bzw. in den Krisenstaaten umgesetzt werden können. Eine Studie von Goldman Sachs zieht einen Vergleich zu Deutschland in der Zeit von 1995 bis 2005. Dem Papier zufolge kämpfte das Land mit einer überbewerteten Währung, den Kosten für die Einheit, hoher Arbeitslosigkeit bei starren Arbeitsmärkten und deflationären Tendenzen. Bis die Wirkungen der Reformen der Regierung unter Gerhard Schröder etwa 2006 einsetzten, lag Deutschlands Wachstumsrate unter dem europäischen Durchschnitt, und auch der Dax konnte mit der Wertentwicklung von Europas anderen Indizes nicht mithalten. Erst später begannen sich die Reformen auszuzahlen. Die Analysten weisen darauf hin, dass ein Vergleich nur begrenzt möglich sei, schließlich hatte das Land kein Schuldenproblem oder steigende Zinsen am Bondmarkt zu zahlen.

Bei der Frage, wo Staaten wie Spanien oder Italien ansetzen sollten, sieht man bei der Commerzbank eine Reduzierung der Lohnstückkosten als den "Königsweg". Deutschland sei in den Jahren vor der Krise eine Senkung um 0,5% pro Jahr gelungen. Diese Größenordnung würde auch Portugal oder Spanien helfen, bereits in fünf Jahren eine preisliche Wettbewerbsfähigkeit herzustellen.

Für die europäischen Aktienmärkte bedeutet dies jedoch auf Jahre hinaus eine Underperformance im internationalen Vergleich - unterstellt man den politischen Willen der Staatschefs, solche Maßnahmen in einem längeren Prozess auch tatsächlich umzusetzen. In jedem Fall steht eine lange Durststrecke bevor. Bis die Reformen wirksam werden, rät Goldman Sachs dazu, auf die Exportwerte der europäischen Krisenstaaten zu setzen: Diese Strategie habe sich auch für deutsche Titel von 1995 bis 2005 bewährt.

(Börsen-Zeitung, 5.5.2012)

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