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Börsen-Zeitung: Die vermurkste Abgeltungsteuer, Leitartikel von Bernd Wittkowski zur Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge, die zum Jahreswechsel in Kraft tritt

Frankfurt (ots)

Drei Jahrzehnte wurde über sie diskutiert, in
drei Tagen tritt sie in Kraft: die Abgeltungsteuer auf 
Kapitalerträge. Es ist die folgenschwerste Neuregelung der 
Besteuerung dieser Einkunftsart seit Generationen. Teilweise ist 
damit ein Paradigmenwechsel im deutschen Steuerrecht verbunden. Denn 
erstmalig in dieser Form und mit solcher Tragweite wird hier die 
steuerliche Ungleichbehandlung von Arbeit und Kapital eingeführt - 
ein Bruch mit einem vermeintlich in Stein gemeißelten Grundsatz. 
Ähnlich tief geht der Einschnitt, den die Abschaffung der 
Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen nach Ablauf der 
Spekulationsfrist bedeutet.
Bisher galt das Prinzip, dass sämtliche Einkünfte addiert und zum 
jeweiligen persönlichen Steuersatz dem Zugriff des Fiskus unterworfen
werden. Frau X und Herr Y, die ein gleich hohes steuerpflichtiges 
Einkommen erzielen, die eine als leitende Angestellte in Form von 
Gehalt und Bonus, der andere als erfolgreicher Geldanleger durch 
Zins- und Dividendenerträge, zahlten im Grunde auch den gleichen 
Betrag an Vater Staat. Von 2009 an wird nun Frau X abhängig von der 
Einkommenshöhe weiter progressiv mit bis zu 45% zur Kasse gebeten, 
während Herrn Y nur noch pauschal 25% abgezogen werden (jeweils plus 
Solidaritätszuschlag und eventuell Kirchensteuer).
Ungleichbehandlung ist freilich nicht automatisch gleichbedeutend 
mit Ungerechtigkeit. Vielmehr gibt es für die Differenzierung 
zwischen Einkunftsarten, die ja auch dem bisherigen Recht nicht 
völlig fremd ist (man denke an unterschiedliche Freibeträge und 
andere Subventionstatbestände), durchaus gute, teilweise sogar 
zwingende Gründe: Erstens wird Geldvermögen - Redlichkeit des 
Steuerpflichtigen unterstellt - in aller Regel aus bereits 
versteuerten Einkünften gebildet, der staatliche Zugriff auf die 
Kapitalerträge läuft mithin auf eine fragwürdige Doppelbesteuerung 
hinaus. Zweitens rechtfertigt auch die Inflationsanfälligkeit des 
Geldvermögens mindestens eine günstigere steuerliche Behandlung. 
Diese Begünstigung dient drittens der Förderung des Sparens, die den 
Privathaushalten ebenso zugute kommt wie der Volkswirtschaft und dem 
Staat.
Die Steuerschuld auf Kapitalerträge mit einem pauschalen und 
vergleichsweise niedrigen Satz endgültig zu tilgen, ist vor diesem 
Hintergrund also absolut gerechtfertigt. Wird der Obolus zudem gleich
an der Quelle, bei den Banken, einbehalten, ist insoweit auch die 
Steuerehrlichkeit gewährleistet, denn die Erträge werden lückenlos 
erfasst und belastet. Alles in allem ist die Abgeltungsteuer somit 
grundsätzlich eine vernünftige Sache. Und trotzdem ist 
Bundesregierung und Gesetzgeber mit ihrem "Jahrhundertwerk" alles 
andere als der große Wurf gelungen. Es wäre wohl auch eine Premiere 
gewesen, hätte man es hierzulande einmal geschafft, eine gute Idee 
nicht doch noch in der Rechtsetzung und Rechtsanwendung zu 
vermurksen. Dabei führt die große Koalition in Berlin sogar ihre 
eigene Politik ad absurdum. Zum einen wird nämlich durch die in jeder
Hinsicht unbeschränkte Besteuerung der Veräußerungsgewinne das Sparen
bestraft, das der Staat gleichzeitig an anderer Stelle - vor allem 
wenn es um die private Altersvorsorge geht - mit enormem Finanz- und 
Verwaltungsaufwand zu fördern versucht.
Zum anderen kommt es hier nun wirklich zu einer ebenso 
ungerechtfertigten wie ungerechten, zudem aus volkswirtschaftlicher 
Sicht kontraproduktiven Ungleichbehandlung. Während Anleger mit 
Zinserträgen bei einem persönlichen Steuersatz über 25% entlastet 
werden, müssen Sparer, die ihre Altersvorsorge künftig auf Aktien 
oder Aktienfonds aufbauen, schon zu einer Art Steuermasochismus 
neigen. Denn durch die Besteuerung der Kursgewinne, die im 
langjährigen Schnitt zwei Drittel der Gesamtperformance von 
Dividendenwerten ausmachen, und die mit der Abgeltungsteuer 
beschlossene Abschaffung des Halbeinkünfteverfahrens für 
Aktienerträge wird hier die Steuerbemessungsgrundlage im Vergleich 
zum Status quo sage und schreibe versechsfacht.
Nun könnte man sarkastisch feststellen, dem bisschen Aktienkultur,
das es in Deutschland überhaupt je gab, habe ohnehin schon die 
Finanzkrise den Rest gegeben, da sei die Abgeltungsteuer dann auch 
egal. Doch im Ernst: Erstens werden nach der Krise gerade 
Vorsorgesparer vermutlich umso mehr auf Renditen angewiesen sein, die
sich auf Dauer nur durch einen ausgewogenen Anlagemix unter 
Einbeziehung von Aktien erzielen lassen und die nicht gleich wieder 
zum Großteil vom Staat abgeschöpft werden. Zweitens sind die aus der 
steuerlichen Anreizwirkung resultierende Schlechterstellung des 
Eigenkapitals und vice versa die Bevorteilung der Fremdmittelaufnahme
in betriebs- wie in volkswirtschaftlicher Hinsicht von Übel für die 
Unternehmensfinanzierung.
Die Reform der Kapitalertragsbesteuerung war eine geradezu 
historische Chance, auf einen Rutsch das Steuerrecht zu vereinfachen,
die Bereitschaft zur privaten Vorsorge zu fördern, die Aktienkultur 
weiterzuentwickeln und die Eigenkapitalausstattung der Industrie zu 
stärken sowie damit den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz 
Deutschland im internationalen Wettbewerb voranzubringen. Die 
Abgeltungsteuer in der Form, wie sie im Gesetzblatt steht und am 
Donnerstag in Kraft tritt, konterkariert jedes dieser Ziele. Das muss
der deutschen Politik erst mal einer nachmachen!
(Börsen-Zeitung, 29.12.2008)

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